JULIA WEIHNACHTSBAND Band 22
beigebracht. Er war ein glänzender, verwegener Risikomensch, den sie einst angehimmelt hatte und wahrscheinlich erneut anhimmeln könnte – ein Gedanke, der ihr furchtbare Angst einflößte.
Freddy … Was sollte aus ihrem Sohn werden, ihrem gemeinsamen Sohn? Rocco wusste nichts von Freddy, und dies war kaum der richtige Augenblick für solch eine unerwartete Nachricht. Rocco schien zu glauben, dass sie die Uhr zurückdrehen könnten, und sie, Amber, hätte es ebenfalls gern geglaubt. Aber ein Baby veränderte alles. Freddy würde alles verändern.
„Also, was ist?“ Rocco betrachtete sie aufmerksam – wie einen Gegner im Vorstand, nahm sie an. Kühl und eindringlich analysierend, als wollte er ihre Gedanken lesen. „Gehe ich … Oder bleibe ich?“
Nein, dies war wirklich nicht der richtige Augenblick, um ihn zu fragen, was er davon hielt, seit einem Jahr Vater zu sein. Da es vor allem seine Schuld war, dass sie schwanger geworden war, würde er sich einfach mit Freddy abfinden müssen. Oh ja, Rocco, dachte Amber mit zärtlicher Belustigung. Im Gegensatz zu dem, was du mir einst versichert hast, kann man sehr leicht schwanger werden. Auf allen anderen Gebieten seiner durchorganisierten, raschlebigen Existenz mochte er unangefochten die Oberhand haben. Was die Empfängnis betraf, hatte das Schicksal das letzte Wort gesprochen.
„Deine schönen Augen strahlen richtig“, flüsterte Rocco und lächelte so verführerisch, dass ihr empfindsames Herz sich schmerzlich zusammenzog.
Entschlossen lockerte er seine Krawatte.
„Du könntest manches als zu selbstverständlich betrachten“, sagte sie und versuchte, die Unnahbare zu spielen.
„Ich betrachtete deine Anwesenheit als selbstverständlich, bis ich ohne dich auskommen musste. Als ich dich gestern im Garten entdeckte, lernte ich rasch hinzu“, versicherte Rocco ihr, bog seine breiten Schultern graziös zurück und ließ seine maßgeschneiderte Jacke zu Boden gleiten.
„Hier sind keine Dienstboten, Rocco … Und ich räume bestimmt nicht hinter dir her“, flüsterte Amber. Das Herz klopfte wie wild in ihrer Brust, und ihr schwindelte ein wenig.
Rocco lachte zerknirscht. „Du findest also, dass ich unordentlich bin.“
Es war so lange her, dass sie ihn derart hatte lachen hören. Am liebsten hätte Amber die Zeit angehalten und den Augenblick für immer bewahrt. Rocco einfach angesehen, ihm zugehört und es genossen. Widerstrebend hob sie seine Jacke auf. Sie konnte nicht anders. Sie ertrug es nicht, wenn jemand teure Kleidung wie wertlosen Plunder behandelte. Liebevoll drückte sie die Jacke an sich, und ein unendliches Glücksgefühl durchströmte sie. Danke, jubelte sie stumm. Danke, danke, danke.
Was sie betraf, war Roccos Sündenregister gelöscht. Innerhalb von vierundzwanzig Stunden hatte er sich von einer eigensinnigen, unversöhnlichen Ratte in den charismatischen Liebhaber zurückverwandelt, den sie kannte. Hatte er nicht gerade gesagt, dass er ihre Anwesenheit als selbstverständlich betrachtet hätte, bis er ohne sie auskommen musste? War er zu stolz gewesen, um sie zu suchen, nachdem sein Zorn verebbt war?
Rocco warf sein Hemd auf den Stuhl, über den sie sein Jackett gehängt hatte, und sie strahlte ihn anerkennend an. „Bist du selber hierher gefahren? Wo ist dein Wagen?“, fragte sie.
„Er steht hinten in der Gasse. Dies gleicht ein wenig einem verbotenen Stelldichein.“
Amber erstarrte unwillkürlich. „Und wie viel Erfahrung hast du damit?“
„Ich treibe es nicht mit verheirateten Frauen, falls du das meinst.“
Ihre Anspannung legte sich ein wenig bei seiner sachlichen Feststellung. „Aber du hast die letzten achtzehn Monate nicht gerade wie ein Mönch verbracht. Sei ehrlich.“
Rocco rührte sich nicht, sondern warf ihr einen verlangenden Seitenblick zu.
Amber wunderte sich unwillkürlich, dass ihr Handtuch nicht auf der Stelle in Flammen aufging. Trotzdem wollte der Schmerz, den sie mühsam unterdrückte, nicht verschwinden. „Weich mir nicht aus.“
Eine leichte Röte betonte Roccos hohe Wangenknochen, und sein wundervoller Mund wurde hart. „Das war eine Art Gegenreaktion … Ich versuchte, dich zu ersetzen. Aber darüber will ich nicht reden“, schloss er barsch und sah sie mit funkelnden Augen herausfordernd an.
Hatte sie gerade eben ein schlechtes Gewissen oder Bedauern aus seinen Worten gehört? Oder wollte Rocco ihr klarmachen, dass sie ihn in Ruhe lassen und sich um ihre eigenen Angelegenheiten
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