JULIA WEIHNACHTSBAND Band 22
sie ihm nicht nach, als er sich auf den Weg machte. Sie blieb zurück und blickte ihm hinterher. In ihren Augen brannten Tränen. Sie hatte ihm ihre Gefühle offenbart, und er wies sie dennoch zurück.
Erschüttert ließ Jodie sich wieder auf die Bank sinken. Irgendwie musste sie es schaffen, den Rest des Tages zu überstehen. Sie hoffte nur, dass sie Sam nicht wegen eines Patienten um Rat fragen musste. Ihr Gespräch über Caitlin Truman war noch nicht beendet, doch Jodie beschloss, für Caitlins Eltern direkt einen Termin bei Sam zu vereinbaren. Sie hatte nicht die Kraft, ihm gegenüberzutreten. Sie musste den Schmerz erst überwinden.
Jodie straffte sich und ging vorbei an der Kathedrale. Sie hörte die Kirchenglocken schlagen, Viertel nach zwei. Selbst das Glockenspiel erschien ihr traurig. Waren wirklich erst fünfzehn Minuten vergangen, seit sie eilig hier entlanggekommen war in der Vorfreude, Sam zu treffen und sich mit ihm auszusprechen? Es schien in einem anderen Leben gewesen zu sein. Sie war so voller Hoffnung gewesen, und nun stand sie vor den Trümmern ihrer Liebe. Trist und leer lag der Rest ihres Lebens vor ihr.
9. KAPITEL
Sam ließ sich den ganzen Nachmittag über nicht blicken, und Jodie war erleichtert, als ihre Schicht beendet war. Erschöpft radelte sie heim. Erst als hinter ihr ein Auto hupte, schreckte sie aus ihrer Lethargie auf und stellte fest, dass sie mitten auf der Straße fuhr. Sie war so in Gedanken versunken gewesen, dass sie gar nicht bemerkt hatte, wie sie vom Radweg abgekommen war. Mit zitternden Knien stieg sie vom Sattel und schob den Rest des Weges.
Ein Leben ohne Sam. Vollkommen undenkbar. Es war schon schlimm genug gewesen zu glauben, er habe sie nach der gemeinsamen Nacht ohne ein Wort fallengelassen. Doch nun zu wissen, dass er sie nur verließ, um ihre Zukunft nicht zu zerstören, war unerträglich.
Zu Hause angekommen, lief sie sofort nach oben ins Schlafzimmer und suchte die Notiz, die Sam ihr angeblich geschrieben hatte. Und tatsächlich fand sie den Zettel. Er musste vom Kissen gerutscht sein und hatte sich hinter der Matratze verhakt:
„Ich war früh wach und wollte dich nicht wecken, du sahst so wunderschön aus im Schlaf. Ich fahre nach Hause und füttere meine Katze, dann muss ich ins Krankenhaus. Rufe dich später an. Frohe Weihnachten. Sam.“
Frohe Weihnachten. Und das von einem Mann, der zugab, dieses Fest zu hassen.
Frohe Weihnachten. Das war fast eine Liebeserklärung.
Damals hatte er ihrer Beziehung also eine Chance gegeben. Wenn sie an jenem Morgen nur den Zettel gefunden hätte! Wäre sie bloß nicht nach Yorkshire gefahren! Hätte sie ihn doch auf der Station angerufen, egal, ob die Gerüchteküche der Kollegen danach gebrodelt hätte … Vielleicht wäre dann alles anders gekommen.
Jodie hockte sich auf den Bettrand, zog die Knie bis zum Kinn und schlang ihre Arme um die Beine. Würde sie sich wirklich irgendwann so verzweifelt nach einem Baby sehnen, dass sie Sam hassen könnte? Würde sie über diesem Schmerz und der Enttäuschung vergessen, wie es war, wenn seine Hände sie berührten? Würden sie sich irgendwann beide in der Arbeit vergraben, um einander aus dem Weg zu gehen? Gab es wirklich nur die Wahl zwischen Sam und einem Kind? War kein Kompromiss möglich, der sie beide glücklich machen konnte?
Ihre Sehnsucht nach Sam ließ sie erschauern. Sie wollte seine Umarmung spüren, seine Lippen, seine Hände, beruhigend flüsternde Worte hören, alles sei gut, sie würden einen Weg finden. Gemeinsam. Doch sie ahnte, dass dieser Wunsch unerfüllt bleiben würde.
Als Jodie nach einer schlaflosen Nacht aufstand, hatte sie noch immer keine Antwort auf die alles entscheidende Frage. Wäre ein Baby irgendwann tatsächlich wichtiger für sie als ihr Verlangen nach Sam? Sie konnte es sich nicht vorstellen.
Niemand konnte voraussagen, ob eine Beziehung zwischen ihr und Sam Bestand hätte. Doch wenn sie es nicht wenigstens versuchten, würden sie es niemals herausfinden. Die Schwierigkeit war nur, Sam davon zu überzeugen.
Als sie zur Klinik fuhr, fühlte sie sich elend, doch sie wusste, dass sie Sam ohnehin irgendwann wieder gegenübertreten musste. Vielleicht würde er sogar bleiben, wenn sie ihm zeigte, dass sie weiterhin sehr gut als Kollegen zusammenarbeiten konnten. Und möglicherweise gelang es ihr dann, ihn Stück für Stück wieder aus seinem Schneckenhaus herauszulocken und ihnen eine zweite Chance zu geben.
Doch dann fielen ihr seine
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