JULIA WEIHNACHTSBAND Band 22
oder mit ihm über einen Patienten sprach, wiederholte sie innerlich diesen Satz, obwohl sie eigentlich in seine Arme flüchten und sich von ihm trösten lassen wollte.
Nach etlichen Tagen der inneren Anspannung sah Jodie sich zur Ablenkung gemeinsam mit Ellen einen Film im Fernsehen an. Es war ein herzzerreißender Liebesfilm, und Jodies Selbstbeherrschung brach mit einem Mal gänzlich ins sich zusammen. Plötzlich begann sie, hemmungslos zu weinen. Ohne ein Wort nahm Ellen ihre Freundin in den Arm und wartete schweigend, bis der Schmerz nachließ.
„Es tut mir leid“, entschuldigte Jodie sich schließlich schluchzend.
„Dafür sind Freundinnen da.“ Ellen umarmte sie verständnisvoll. „Es ist wegen Sam, nicht wahr?“
Jodie nickte und erzählte Ellen die ganze Geschichte. Als sie geendet hatte, stöhnte Ellen. „Er ist ein solcher Dickschädel. Aber in einem Punkt hat er recht, Jodie: Wenn du dir Kinder wünschst, wird dich dieser Traum ein Leben lang begleiten. Überall wirst du nur Eltern mit Kindern sehen. Weißt du, wenn du schwanger bist, verändert sich dein ganzes Leben. Willst du auf dieses Gefühl wirklich verzichten?“
„Ich habe es ja nie erlebt, also weiß ich es nicht“, erwiderte Jodie unsicher.
„Du kannst die Tatsachen nicht leugnen, Jodie. Irgendwann wirst du dich dieser Frage stellen müssen, und es wird eure Liebe bis an die Grenzen belasten.“
„Vielleicht.“ Jodie schloss die Augen. „Im Moment weiß ich nur, dass ich nicht den Rest meines Lebens auf Sam verzichten möchte. Selbst wenn es schlimm wäre, auf ein Baby zu verzichten, ich kann mir kaum vorstellen, dass ich mich dann schlechter fühlen würde als jetzt.“
„Dann sag es ihm“, schlug Ellen vor.
„Das habe ich versucht.“
„Seit wann gibst du etwas auf, woran du glaubst, Jodie Price?“, neckte Ellen die Freundin.
Unter Tränen lächelte Jodie sie an.
„Sag es ihm, Jodie. Gleich morgen.“
Doch Jodie hatte nicht den Mut, mit Sam zu sprechen. Stattdessen verschanzte sie sich hinter ihrer Arbeit. Zumindest gab es hier einige gute Nachrichten – Ellie Langton ging es wieder besser und Poppy Richardson war sogar schon wieder zu Hause bei ihren Eltern. Caitlin Truman war inzwischen Sams Patientin, und es gab keinen Grund mehr, sich deswegen mit ihm auseinandersetzen zu müssen.
Drei Tage lang gelang es ihr, Sam auszuweichen. Er hatte Dienst in der Notfallambulanz, und so konnte sie ihm problemlos aus dem Weg gehen.
Jodie riss sich zusammen und bemühte sich um ihre gewohnt leichtlebige Heiterkeit. Doch als Sam die Assistenzärzte schließlich bat, mit ihm die Visite zu machen, schnürte sich ihr schon im Vorwege die Kehle zu, und sie konnte den Gedanken kaum ertragen, ihm zu begegnen.
Gemeinsam mit ihren Kollegen Stuart und Duncan begleitete sie Sam zum Zimmer von Conor Bentley, einem sechsjährigen Jungen mit dem Verdacht auf Myokarditis, einer Entzündung des Herzmuskels. Er war am Vortag von seinem Kinderarzt in die Klinik überwiesen worden. Conor schlief, und seine langen Wimpern umschlossen die meerblauen Augen, von denen alle Krankenschwestern auf der Station schwärmten.
Sam prüfte die jungen Ärzte auf ihr Wissen bezüglich der Krankheit, wobei er sich häufiger an Stuart und Duncan wandte. Jodie hatte das Gefühl, Sam hätte sie am liebsten gänzlich ignoriert, riss sich aber mit aller Kraft zusammen, dies nicht zu tun.
Es fiel ihr schwer, in seiner Gegenwart den anderen beiden zuzuhören und selbst fachlich kompetente Antworten zu geben. Wie viel lieber wäre sie einfach verschwunden oder mit Sam ganz allein an einem anderen Ort gewesen.
Ihr Blick fiel erneut auf den schlafenden kleinen Jungen. Wie friedlich er aussah. Wie wäre es wohl, sein eigenes schlafendes Kind zu betrachten? An seinem Bett zu sitzen, seine Hand zu halten und ihm Lieder zu singen, bis es einschlief.
„Jodie?“, Sam sah sie fragend an.
Bestürzt riss sie sich aus ihren Gedanken und wandte ihm den Blick zu. Seine grauen Augen waren direkt auf sie gerichtet, und er schien auf eine Antwort zu warten.
„Entschuldige, ich …“, stammelte Jodie. Es war offensichtlich, dass sie seine Frage nicht wahrgenommen hatte.
„Ich hatte dich gerade gebeten, bei dem Gespräch mit den Eltern des Jungen dabei zu sein.“
„Wieso möchtest du das?“, noch immer blickte sie in sein Gesicht, das deutlich zeigte, dass auch er einen inneren Kampf focht.
„Ich hatte gerade erklärt, dass die Krankheit bei Conor schon so weit
Weitere Kostenlose Bücher