Julia Winterträume Band 8 (German Edition)
Gabriel, ihren kleinen Sohn, im Stich zu lassen? Das kannst du doch unmöglich richtig finden, Carlo“, hatte Sasha sich empört.
„Richtig nicht. Aber Giorgio war ein stolzer Mann und das Oberhaupt der Familie. Er betrachtete es als Sache der Ehre, die Abstammungslinie der Calbrinis rein zu halten und einen Enkel zu haben, dessen Blut …“
„Zum Schluss musste er Gabriel dann aber doch akzeptieren, oder etwa nicht?“
Carlo hatte zwar genickt, um anzudeuten, dass er ihren Einwand verstand, im Grunde genommen hatte Sasha jedoch gewusst, dass er ebenso altmodisch und traditionsverwurzelt dachte wie Gabriels Großvater. Sie hatte den Verdacht, dass er ihr die Geschichte von Gabriels Geburt nur erzählt hatte, weil er sich trotz allem verpflichtet fühlte, sich hinter seinen Cousin zu stellen. Carlo hatte sie mit seinem Geld und seinem Namen geschützt, doch er war und blieb ein Calbrini. Und ihre Söhne auch. Das hatte er nie vergessen, und sie durfte es ebenfalls nicht tun, wenn auch aus anderen Gründen.
Immer noch beobachtete Gabriel ihre Söhne.
„Es wäre sinnlos, dich mit ihnen bekannt zu machen, denn du wirst in ihrem Leben sowieso keine Rolle spielen“, erklärte Sasha mit Nachdruck.
„Im Gegenteil. Ich habe die Absicht, mir die Rolle als ihr Vormund zur vorrangigen Aufgabe zu machen.“ Er sprach weiter, ohne sie anzusehen. „Deshalb bin ich hergekommen. Wer weiß, wie weit die Kinder durch ihre Lebensumstände bereits geschädigt sind.“
„Sie vermissen Carlo, aber durch seinen Tod haben sie seelisch keinen Schaden genommen“, betonte Sasha.
Blitzschnell drehte Gabriel sich zu ihr um. „Ich meinte nicht Schaden durch den Tod ihres Vaters, sondern durch das Verhalten ihrer Mutter.“
Sasha wurde es eiskalt. „Du hast kein Recht, so etwas zu sagen.“
„Ich habe sogar jedes Recht dazu. Die Kinder sind meine Mündel, und ich bin moralisch und gesetzlich dazu verpflichtet, sie zu beschützen.“
„Vor mir? Ich bin ihre Mutter!“ Sie presste die Fingernägel so fest in ihre Handflächen, dass es schmerzte.
Gabriels goldbraune Augen zeigten keine Regung. „Du magst ihre Mutter sein, aber du bist auch eine Frau, die einen Lebensstil braucht, den ihr nur ein reicher Mann bieten kann. Und wenn so ein Mann dafür bezahlt, dass du ihm körperliche Freuden spendest, wird er nicht von zwei neunjährigen Jungen gestört werden wollen. Nach Ansicht der meisten Gerichte würde so eine Mutter ihre Fürsorgepflichten eindeutig vernachlässigen und die Bezeichnung Mutter nicht verdienen.“
Es war nicht zu überhören, wie verbittert Gabriel war.
„Nur, weil deine eigene Mutter dich verlassen hat …“
„Lass sie aus dem Spiel!“
Noch nie war Sasha so wütend und gleichzeitig verängstigt gewesen.
„Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass es im Interesse der Jungen ist, wenn sie fürs Erste hier auf der Insel – der Heimat ihres Vaters – bleiben, während ich darüber nachdenke, was für ihre Zukunft am besten ist.“
„Dazu hast du kein Recht.“
Jetzt verliert sie die Fassung, obwohl sie sich verzweifelt bemüht, es nicht zu zeigen, stellte Gabriel fest. An ihrem Hals pulsierte eine Ader, fast konnte er spüren, wie Panik und Angst sie übermächtigten. Nicht zu übersehen war auch der entsetzte Blick.
„Sie sind meine Söhne“, beharrte Sasha. „Meine Söhne!“
„Und ab jetzt offiziell meine Mündel, und zwar nach altem sardischem Gesetz. Hier gilt das Patriarchat, wie du sehr wohl weißt.“
Benommen schüttelte sie den Kopf. „Das kannst du nicht machen. Ich lasse es nicht zu.“
„Du wirst mich nicht daran hindern.“ Gabriel lächelte kalt. „Vor Gericht zu gehen, kannst du dir gar nicht leisten. Du hast kein Geld. Und Carlo ist tot, du brauchst einen neuen Mann, der für euch sorgt. Einen, der wie Carlo nicht sieht, was du wirklich bist. Versuche gar nicht erst, es abzustreiten“, warnte er sie scharf, als sie aufbegehren wollte. „Schließlich wissen wir beide, dass du es gewöhnt bist, dich an den Meistbietenden zu verkaufen. Deswegen hast du mich ja auch ausgesucht – und aus dem gleichen Grund verlassen. Richtig?“
Fast gleichmütig hatte er gesprochen, doch sein Ton täuschte Sasha nicht. Gabriel sagte nichts beiläufig oder grundlos. Beschwörend erwiderte sie: „Es war ein großer Fehler …“
„Ja, sicher. Dein Fehler“, unterbrach er sie scharf.
„Nein, so war es nicht …“ Sie verstummte einen Augenblick. „Das alles liegt lange
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