Julians süßes Blut (German Edition)
ihn an. »Ja, das stimmt. Kennen wir uns?«
Der Mann lächelte wieder – die Narben verzogen sich zu einem eigenartigen Muster.
»Nein, nicht wirklich.« Er zögerte einen Moment. »Ich kenne Leon van Haaften – und, naja, es ist schon lange her, aber er zeigte mir, vor wem ich mich hüten sollte.« Er lachte leise. »Ja, wirklich. Er sagte mir damals, hüte dich vor den Todbringern.«
Alex lachte. »Ich erinnere mich an Leon. Weilt er noch unter uns?«
Wieder zögerte der Mann einen Augenblick. »Ja, aber er lebt sehr zurückgezogen. Es hat mich eine halbe Ewigkeit gekostet, ihn wiederzufinden.« Sein Blick verdunkelte sich merklich. »Aber er schuldete mir noch etwas. Es war nicht fair gewesen, daß er mich ... allein gelassen hatte.«
Alex betrachtete ihn aufmerksam. Der Mann hatte ein außergewöhnliches Gesicht – und außer den Narben in beiden Mundwinkeln fiel Alex auf, daß ihm beide Ohrläppchen fehlten.
»Haben Sie mich gesucht?« fragte er, um sich von den Verstümmelungen abzulenken.
»Nein, es war Zufall, daß ich Sie gefunden habe. Reiner Zufall. Warum hätte ich Sie auch suchen sollen? – Leon hat nie besonders viel von Ihnen gehalten.«
Seine Augen – irgendwie ausdruckslos.
»Ich weiß«, sagte Alex lächelnd.
Der Mann sprach weiter: »Und jetzt sehe ich Sie – anders, als damals.« Er runzelte die Stirn. »Sie sind ... faszinierend.«
Alex lachte leise. »Danke.«
»Ich möchte Sie gern einladen, zu einem Glas Wein. Werden Sie mich begleiten?«
Lange sah Alex ihn an, bevor er sagte: »Ja, ich begleite Sie. Es ist wohl kein allzu großes Risiko für mich.«
Gemeinsam verließen sie die Ausstellung, ohne daß Alex sich von Mira verabschiedete. Es war etwas wie ein dankbares Aufblitzen in den Augen des Mannes, als Alex ihm folgte und auf der Beifahrerseite in den Wagen stieg.
»Wo fahren wir hin?«
Der Mann sah ihn erstaunt an. »Oh, Entschuldigung. Ich bin es gar nicht gewöhnt, daß meine Gedanken nicht gelesen werden. Wir fahren zu mir, ich habe eine Wohnung in derBeak Street.«
»Wie heißen Sie?« fragte Alex und schaute aus dem Fenster.
»Christian van Zet«, antwortete der Mann leise. Er fuhr sehr konzentriert.
»Was sind Sie für ein Landsmann? Holländer?« Immer noch starrte Alex aus dem Fenster.
»Nein, Deutscher. Aber ich war schon seit Jahren nicht mehr dort.«
Schweigend fuhren sie bis zu van Zets Wohnung. Van Zet parkte seinen Wagen vor einer Garage und öffnete Alex die Tür. Gemeinsam betraten sie die Wohnung. Neugierig ging Alex durch den Flur, hinein in das helle Wohnzimmer. Die Vorhänge waren zugezogen. Es kümmerte ihn nicht, daß van Zet ihm nicht gefolgt war. Sollte er sich um den Wein kümmern.
Alex setzte sich auf die bequeme beige Couch und wartete bis der andere mit zwei Gläsern und einem edlen Rotwein zurückkam.
»Warum schuldet Leon ihnen noch was?« fragte Alex und überlegte im selben Moment, ob diese Frage nicht zu indiskret war.
Van Zet starrte ihn an. Erstaunt, wie Alex fand. Er zögerte. Es schien Alex, als ob sich sein ganzer Körper verkrampft hatte.
Langsam deutete er auf die Narben, die sein Gesicht verunstalteten. Es dauerte eine Ewigkeit, bis er anfing zu sprechen. »Leon hat mich damals im Stich gelassen«, sagte er schließlich und lächelte humorlos. »Er ging einfach weg, während sie mich in der Mangel hatten. Er sagte, sie wollten ihm nur eine Falle stellen. Aber so dumm sei er nicht.« Van Zet lachte trocken.
»Wen meinen Sie mit sie ?« fragte Alex, aber er kannte die Antwort bereits.
»Sie wissen es, denke ich. Der Kreis von Merrick. Sie hielten mich fest – ich weiß nicht, wie lange. Denn sie wollten, daß ich mit ihnen zusammenarbeite. Aber ich weigerte mich.«
Alex sah ihn lange an. »Ein guter Freund von mir hat auch unter dieser ... Organisation gelitten. Sie haben ihn so sehr gequält, daß er nicht mehr leben wollte.«
Van Zet lachte kalt. »Sie haben mir unaussprechliche Dinge angetan, daß ich mir oft den Tod wünschte. Und manchmal dachte ich auch, ich sei bereits tot.«
Er lächelte Alex an, und die Narben in seinen Mundwinkeln kräuselten sich. »Aber sie ließen mich am Leben. Wahrscheinlich dachten sie, ich würde meine Meinung ändern – oder Leon würde auftauchen, um mich zu retten. Aber das tat er nicht.«
Van Zet schwieg eine Zeitlang.
»Irgendwann hatten sie genug von mir. Aber sie hatten mich zu Grunde gerichtet, seelisch ... körperlich. Ich wurde in eine Anstalt eingewiesen. Ich
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