Julias kleine Sargmusik
auch gerechnet«, erwiderte ich. »Dann müsste Julia auch…«
Ich hob die Hand. »Warten wir es ab.«
Suko arbeitete vorsichtig weiter. Er hatte den Spaten so gekantet, dass er mit dem Schaufelbrett die feuchte Erde vom Sargdeckel abheben konnte. Ich sprang nicht in die Grube, hatte mich an ihrem Rand stehend gebückt und half meinem Freund mit, den Sargdeckel vom feuchten Lehm zu befreien.
»Der Sarg ist noch gut erhalten«, meldete mein Partner. »Bin mal gespannt, wie es mit der Leiche aussieht.«
Während seiner Worte hatte ich Helen Landers angeschaut. Sie presste hart die Lippen zusammen. Mir wäre wirklich lieber gewesen, wenn sie sich zurückgezogen hätte. Noch einmal machte ich ihr den Vorschlag.
»Nein!«
Diese Antwort klang endgültig. Ich nickte Suko zu. Ein Zeichen, dass er damit beginnen sollte, den Sargdeckel zu öffnen. So gut es die engen Verhältnisse zuließen, ging mein Partner in die Hocke und hielt den Spaten so, dass er mit der Seite in den Spalt zwischen Deckel und Unterteil stoßen konnte.
»Kannst du ihn nicht normal öffnen?« rief ich.
»Dann müsste ich an der anderen Seite noch zuviel Lehm wegnehmen«, lautete seine Antwort.
Holz knirschte, als Suko Druck ausübte. Ich beobachtete Helen Landers. Sie stand wieder aufrecht. Einen Handballen hielt sie gegen das Kinn gedrückt, der linke Arm hing nach unten, die Hand war zur Faust geballt. Wind orgelte herbei, spielte mit den Zweigen des hinter ihr wachsenden Vogelbeerbuschs, so dass diese über ihren wetterfesten gelben Umhang schabten.
»Ich hab's gleich«, meldete sich der Inspektor. »Nur keine Panik, Freunde. Einen Moment noch…«
Wieder hebelte er. Abermals hörten wir das Knirschen, dann war der Deckel praktisch abgesprengt. Suko brauchte ihn praktisch nur anzuheben.
»Schaffst du es allein?« fragte ich ihn.
»Ja, das klappt schon.«
Mir war es recht so. Da konnte ich Mrs. Landers besser im Auge behalten.
Suko lehnte den Spaten an die Innenwand und packte den Deckel mit beiden Händen. Er zerrte noch ein paar Mal, bis das Oberteil nachgab und er es abheben konnte.
»Die Lampe, Mrs. Landers!«
Wie im Traum reichte sie mir den Gegenstand und bückte sich tiefer, um besser in den Sarg schauen zu können.
Der Inspektor hatte Platz geschaffen, so dass ich frontal in das offene Unterteil leuchten konnte. Der helle, armdicke Strahl fiel genau auf das Gesicht, oder das, was davon noch übriggeblieben war. Grauenhaft… Helen Landers begann zu schreien!
***
Mullogh lag unter den feinen, aber sehr dicht fallenden Regenschleiern. Am Himmel hatten sich die grauen Wolken noch mehr zusammengezogen. Sie wirkten wie gespenstische Gestalten, Vorboten eines drohenden Unheils, das noch unsichtbar über dem Ort lauerte. Nur wenige wussten Bescheid. Zu diesen zählte auch Mrs. Featherhead, die ihr Haus verlassen hatte, sich gegen den scharfen Wind und den Regen anstemmte, um dorthin zu gelangen, wo hin und wieder zwei Taxis warteten.
Sie erreichte den Standplatz. Er war leer, das Pflaster glänzte vor Nässe. Die Witwe atmete tief durch. Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie hätte natürlich anrufen können, dann wäre es zu sehr aufgefallen, dass sie den Ort verlassen wollte.
Was tun? Umkehren, sich im Haus verkriechen? Nein, da war sie auch nicht sicher, wie man ihr auf drastische Art und Weise bewiesen hatte. Und der Bus fuhr auch erst wieder an nächsten Tag. Sie stand nahe einer Laterne und schauten die leicht gebogene Straße hoch. Gepflastert war sie mit Kopfsteinen. Sie glänzten in der Feuchtigkeit wie schwarze Diamanten.
Weiter vorn verschwamm die Straße in den dünnen Regenschleiern, die jetzt durch zwei gelbe Glotzaugen ein wenig erhellt wurden. Ein Wagen fuhr nach Mullogh ein.
Er kam näher, und als er die Frau fast erreicht hatte, erkannte Mrs. Featherhead in ihm das Lieferauto des Lebensmittelhändlers Ascott. Sie hatte den Mann noch nie leiden können, aus diesem Grund zog sie sich auch zurück, so dass sie nicht entdeckt werden konnte. Erst als das Fahrzeug vorbei war, kam sie wieder vor und hatte auch einen Entschluss gefasst. Sie wollte dem Rat des Eisernen Engels folgen, zu Herbie Reynolds gehen und mit ihm über alles reden. Vielleicht konnte sie ihn doch überzeugen. Wenn nicht, sollte er mit zu ihr kommen oder sich mit den Polizisten aus London in Verbindung setzen. Bis zur Polizeistation hatte sie es nicht weit. Das Gebäude lag praktisch schräg gegenüber. Die Lampe an der Haustür leuchtete schwach.
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