Julias kleine Sargmusik
Strand gehörte den Großen Alten. Gorgos und Krol regierten hier. Gerufen von einer Person, die stehen geblieben war und den Bogen über die Saiten tanzen ließ.
Ihr Spiel näherte sich dem unheilvollen Höhepunkt. Noch schriller wurden die Klänge, die in langen Echos gegen den nachtschwarzen Himmel vorstießen.
Die Augen der einsamen Geigerin leuchteten. Den Mund hielt sie leicht geöffnet, die Augen glänzten wie im Fieber, auf den Wangen zeigten sich hektische rote Flecken.
Um sie herum verglaste der gesamte Strand. Die Kraft des gläsernen Götzen breitete sich aus. Sie nahm alles mit, was sich ihr in den Weg stellte. Nichts sollte mehr zurückbleiben.
Gorgos' große Stunde war gekommen!
Das Mädchen hatte den Felsen den Rücken zugedreht. Es schaute auf das Meer hinaus, wo die Wellen eine dunkle, sich bewegende Fläche bildeten und nur hin und wieder helle Schaumkronen auf den Kämmen tanzten. Tief atmete sie durch. Sarina spürte plötzlich, dass die andern nicht mehr weit waren und ihren Melodien gehorchten. Plötzlich ließ sie ihre Geige sinken. Nach den schrillen Tönen war nur mehr das Rauschen der Brandung zu hören, aber es kam noch etwas hinzu. In der Ferne zeichnete sich auf der Dunkelheit des Wassers ein gewaltiger Schatten ab. Es schien noch düsterer als das Meer zu sein, und es kam langsam näher.
Ein Schiff…
Hoch war das Segel gesetzt. Es hatte sich im Wind aufgebläht. Die anrollenden Wellen wurden vom Bug gebrochen, bevor sie als lange, glänzende Fahnen in die Höhe stoben, wieder zurückfielen. Sarina stand am Strand. Die Arme hatte sie sinken lassen. Die Finger der linken Hand umklammerten die Geige, die der rechten den Bogen. Mondlicht umfloss ihre Gestalt, als sie dem immer näher kommenden Schiff entgegenschaute.
Endlich war es da. Lange genug hatte sie warten müssen, jetzt war der Zeitpunkt einer weiten Reise gekommen.
Das Schiff geriet in die Wellen der Brandung, überwand sie wie ein störrisch bockender Esel und ließ sich dann weitertreiben auf das Ufer mit dem magisch veränderten Sandstrand zu.
Jetzt war es da!
Sarina ging ins Wasser. Sie schritt daher, als wäre es nichts. Abermals hatte sie die Geige angesetzt. Nun spielte sie klagende Melodien, die sich nach Vergessen und Abschied anhörten. Die Wellen umspielten ihren Unterkörper, wobei sie höher und höher stiegen, je mehr Schritte das einsame Mädchen zurücklegte.
Näher und näher rückte das Schiff. Schwarz gestrichen war die Bordwand.
Sarina ging nicht unter. Es gelang ihr, eine Leiter zu fassen, die von der Bordwand herabhing. An ihr kletterte sie in die Höhe und erreichte ein leeres Deck. Jetzt stand sie allein auf dem Geisterschiff. Sie sah die langen Ruderbänke, wo sonst die Sklaven saßen und Fronarbeit verrichteten.
Das seltsame Schiff wiegte sich im Rhythmus der Wellen. Sie rollten lang heran, hoben es hoch und ließen es wieder sanft in das Wellental gleiten.
Sarina schaute zum Ufer.
Im Mondlicht glänzte der gläserne Sand, als wäre er mit unzähligen Splittern kostbarer Edelsteine versetzt worden. Auch zeigten sich lange Risse innerhalb des Gefüges, und selbst die dunklen, hochragenden Felswände bekamen etwas von dem matten Widerschein ab, so dass sie aussahen wie ein dunkler, beschlagener Spiegel.
Noch lag der Strand in einer ungewöhnlichen, abwartenden Stille. Das jedoch würde sich ändern, und Sarina wollte dafür Sorge tragen. Beinahe zeitlupenhaft hob sie Instrument und Bogen, setzte die Geige an und begann die Saiten zu streicheln.
Jetzt spielte sie die Melodien dieser fremden, so anderen Welt. Sie glitten hinein in die Stille, durchbrachen sie, schwangen weit vor, erreichten das gläserne Ufer und lockten die Geschöpfe, die nur auf das Zeichen gewartet hatten.
Sie kamen aus der Tiefe!
Selbst auf dem Schiff vernahm das einsam spielende Mädchen dieses helle Knirschen. Aus den Rissen wurden breite Spalten. Ganze Blöcke platzten auf einmal weg, wurden hoch in die Luft geschleudert, bevor sie zurückfielen, aufprallten und krachend zerbrachen. Ein Strand öffnete sein »Maul« und ebnete dem Schrecken einen Weg. Aus den Löchern stiegen sie. Gewaltige Gestalten, eingehüllt in wahre Gebirge aus Schleim. In allen Farben schimmernd, wobei die Farbe rot überwog. Wolken-und wellenartig bewegten sie sich voran, erreichten das Wasser und warfen sich hinein.
Sarina spielte. Sie schaute nicht mehr zum Ufer, sie zählte nicht nach, sie war eingehüllt in die für menschliche Ohren
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