Julie oder Die neue Heloise
dir verdrießlich ist, traurig zu sein, ach, dann kennst du die wahre Traurigkeit nicht. Wenn du ein gewisses Vergnügen darin findest, warum willst du es mich nicht theilen lassen? Weißt du nicht, daß das Ausschütten der Herzen der Trübsal etwas Süßes und Wehmüthiges mittheilt, das ein zufriedenes Leben nicht gewähren kann? Und ist nicht die Freundschaft recht eigentlich den Unglücklichen verliehen zum Trost in ihren Leiden und zur Linderung ihrer Schmerzen?
Sieh, Liebe, Alles das solltest du bedenken und ich muß noch hinzufügen, daß ich bei dem Vorschlage, daß du bei mir wohnen sollst, nicht weniger im Namen meines Mannes als in meinem eigenen spreche. Er hat sich öfters, wie mir schien, darüber gewundert, ja, fast Anstoß daran genommen, daß zwei solche Freundinnen, wie wir sind, nicht zusammenwohnen; er versichert, daß er es dir selbst gesagt habe, und er ist nicht der Mann, der Etwas nur so hinspricht. Ich weiß nicht, wie du dich nach diesen meinen Vorstellungen entschließen wirst; ich hoffe, so, wie ich es wünsche. Mein Entschluß steht jedenfalls fest, und ich werde nicht davon weichen. Ich habe die Zeit nicht vergessen, da du mir nach England folgen wolltest. Jetzt, unvergleichliche Freundin, ist die Reihe an mir. Du kennst meinen Widerwillen gegen die Stadt, meine Neigung zum Landleben und zu ländlichen Arbeiten, und du weißt, wie lieb mir durch diesen dreijährigen Aufenthalt mein Haus in Clarens geworden ist. Es ist dir auch nicht unbekannt, wie viel Unruhe es macht, mit einer ganzen Familie umzuziehen und wie es wahrlich die Gefälligkeit meines Vaters mißbrauchen heißt, wenn man ihn so oft umsiedelt. Nun wohl! wenn du nicht deine Wirthschaft verlassen und dich an die Spitze der meinigen stellen willst, so bin ich entschlossen, ein Haus in Lausanne zu miethen, wo wir dann alle bei dir wohnen werden. Entscheide dich also; Alles drängt dazu, mein Herz, meine Pflicht, mein Glück, meine gerettete Ehre, meine wiedererlangte Vernunft, meine Lage, mein Mann, meine Kinder, ich selbst; dir verdanke ich Alles, was ich um mich sehe, erinnert mich daran, und ohne dich bin ich Nichts. Komm also, meine Herzensgeliebte, mein Schutzengel, komm und stelle dein Werk sicher, komm und freue dich der Frucht deiner Wohlthaten. Laß unsere Familien nur Eine sein, wie wir, um sie zu lieben, nur Eine Seele haben; du wirst über die Erziehung meiner Söhne, ich werde über die deiner Tochter wachen: wir werden die Mutterfreuden doppelt genießen. Wir werden unsere Herzen gemeinsam zu Dem erheben, der das meinige durch deine Bemühungen gereiniget hat; so wird uns weiter nichts auf dieser Welt zu wünschen übrig bleiben, und wir werden im Schoße der Unschuld und der Freundschaft das andere Leben still erwarten.
Zweiter Brief.
Antwort.
Mein Gott, Cousine, was für Vergnügen hat mir dein Brief gemacht! Reizende Predigerin! .... reizend in der That. und dennoch Predigerin .... predigend zum Entzücken. Aber Thaten, nicht so viel Redens! Der athenische Architekt .... der so schön zu sprechen wußte .... du weißt ja .... in deinem alten Plutarch .... Alles herrlich beschrieben, ein wundervoller Tempel! .... Sobald er ausgeredet, kommt der andere, ein schlichter Mann, ernsthaft, gesetzt .... wie Einer, würde deine Cousine Clara sagen .... mit einer tiefen Stimme, langsam, ja, etwas durch die Nase .... „Was der da gesagt hat, das werde ich machen." .... Er schweigt; Händeklatschen. Fort mit dem Phrasenmanne
[Plutarch erzählt, daß von zwei Architekten, welche sich den Atheniensern zu einem Baue anboten, der erste dem Volke weitläufig vorgetragen habe. wie er Alles machen würde, dann aber der andere aufgetreten sei und nur die obigen wenigen Worte gesprochen habe; diesen habe das Volk gewählt. D. U.]
…. Mein Kind, die beiden Architektensind wir; der Tempel, um den es sich handelt, ist der der Freundschaft.
Laß uns ein Bißchen die schönen Sachen durchnehmen, die du mir gesagt hast. Erstlich, daß wir uns liebten, und dann, daß ich dir unentbehrlich wäre, und dann, daß du es mir auch wärest, und dann, da wir Freiheit haben, unser Leben mit einander zu verbringen, daß wir das thun sollten. Und das Alles hast du ganz allein erdacht? Ungelogen, du bist eine beredte Person! Nun aber! ich will dir doch sagen, womit ich meinerseits mich beschäftigt habe, während du diesen vortrefflichen Brief ausstudirtest. Alsdann sollst du selbst urtheilen, was mehr werth ist, das, was du sagst, oder das,
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