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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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was ich thue.
    Kaum hatte ich meinen Mann verloren, so fülltest du die Lücke aus, welche er in meinem Herzen gelassen hatte. Bei seinen Lebzeiten theilte er mein Herz mit dir; seit er nicht mehr ist, habe ich nur dir allein angehört, und, wie du über die Verknüpfung der mütterlichen Zärtlichkeit und der Freundschaft richtig bemerkt hast, selbst meine Tochter war für uns ein Band mehr. Nicht nur beschloß ich von Stund' an, mein übriges Leben mit dir zuzubringen, sondern ich machte einen weiter reichenden Plan. Damit unsere beiden Familien zu einer einzigen würden, nahm ich mir vor, vorausgesetzt, daß sich Alles so schickte, eines Tages meine Tochter mit deinem ältesten Sohne zu verbinden; der im Spaß üblich gewordene Name „Mann" schien mir ein glückliches Vorzeichen, daß er ihm einst im Ernste zukommen würde.
    In diesem Gedanken suchte ich zuvörderst die verwickelte Erbschaftsangelegenheit in Ordnung zu bringen, und da ich meine Mittel hinlänglich fand, um Einiges der Abmachung des Uebrigen zu opfern, ließ ich es mir nur angelegen sein, den Antheil meiner Tochter in sicheren Effekten und frei von den prozessualischen Schwierigkeiten anzulegen. Du weißt, daß ich in vielen Dingen so meine eigenen Einfälle habe; diesmal war es meine Narrheit, dich zu überraschen. Ich hatte mir in den Kopf gesetzt, eines schönen Morgens in dein Zimmer zu treten, an der einen Hand mein Kind, in der andern eine Brieftasche, und mit einem schönen Knix, Mutter, Tochter, und ihr Gut, nämlich der Letzteren Mitgift, in deine Hände zu legen. Verfüge darüber, wollte ich dabei sagen, den Interessen deines Sohnes gemäß; denn hinfort ist es seine und deine Sache; ich für mein Theil kümmere mich nicht mehr darum.
    Voll von diesem reizenden Gedanken, sah ich mich nach Jemanden um, der ihn mir ausführen hülfe. Nun rathe, wen ich zum Vertrauten wählte. Einen gewissen Herrn von Wolmar; du kennst ihn wohl? — Meinen Mann, Cousine? — Ja, deinen Mann, Cousine! Der nämliche Mann, dem es dir so sauer wird ein Geheimniß zu verbergen, das zu wissen für ihn nicht gut wäre, ist der, welcher dir eines recht gut verschweigen konnte, das zu erfahren dir so angenehm gewesen wäre. Dies war der wahre Gegenstand aller jener geheimnißvollen Unterhaltungen, über die du gegen uns so komisch zu Felde zogst. Du siehst, wie versteckt sie sind, diese Männer! Ist es nicht spaßhaft, daß sie es sich herausnehmen, uns Verstellung Schuld zu geben? Ich habe dem deinen noch mehr zugemuthet, ich sah recht gut, daß du mit demselben Plane umgingst, wie ich, aber mehr inwendig, und nach deiner Art, dich immer nur nach dem Maße aufzuschließen, als man sich dir hingiebt. Nun suchte ich dir eine noch angenehmere Ueberraschung zu bereiten, und verlangte, er sollte, wenn du ihm unser Zusammenleben vorschlagen würdest, so thun, als ob ihm dein Eifer für die Sache nicht recht gelegen wäre, und sich bei der Einwilligung ein wenig kalt stellen. Er gab mir eine Antwort, die ich behalten habe, und die du dir wohl merken mußt; denn ich glaube nicht, seit es Ehemänner in der Welt giebt, daß ein einziger von ihnen so geantwortet habe. Er sagte: „Cousinchen, ich kenne Julie .... ich kenne sie genau .... besser, als sie vielleicht glaubt. Sie ist eine zu redliche Seele, daß man ihr irgend einen Wunsch abschlagen könnte, und fühlt zu fein, daß es sie nicht kränken würde, wenn man es thäte. Ich glaube, ihr in den fünf Jahren, seit wir verbunden sind, nicht den geringsten Kummer verursacht zu haben, und ich hoffe, daß es bis an meinen Tod nie geschehen wird." Cousine, nimm es dir zu Herzen: solch ein Mann ist er, und einem solchen Manne unbehutsam die Ruhe zu rauben, quälst du dich in Gedanken unablässig.
    Ich, in der That, hatte weniger Delicatesse, oder auch mehr Vertrauen auf deine Sanftmuth: ich wich den Gesprächen aus, zu welchen dich dein Herz oft drängte und machte es so natürlich, daß du, weil du dem meinigen doch nicht zutrauen konntest, daß es kälter gegen dich geworden sei, dir in den Kopf setztest, ich ginge mit Wiederverheiratungum, und liebte dich, mehr allerdings als Alles, ausgenommen einen Mann. Denn siehst du, gutes Kind, es geht nichts so geheim in dir vor, daß ich es nicht merkte; ich errathe dich, ich durchschaue dich, ich dringe bis in die tiefste Tiefe deiner Seele; das ist es ja, warum ich dich immer angebetet habe. Ich ließ mir den Vortheil nicht entgehen, den Argwohn, durch den ich dich so glücklich

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