Juliet, Naked
manchmal hielt sie es für all das zusammen und wünschte sich, sie hätte
ihn innerhalb der letzten vierundzwanzig Stunden nicht so oft zurechtgewiesen. Ja, irgendwie hatte er das gebraucht, aber
nur, wenn er in der Welt bleiben wollte, in die er eingetreten war. All diese Ermahnungen hatten einen Subtext gehabt: Wenn
du bei mir in Gooleness wohnen willst, dann musst du deiner Familie geben, was ihr zusteht. So machen wir das hier. Aber da
er nicht auf Dauer mit ihr hier in Gooleness zusammenleben würde – was ging es sie überhaupt an? Es war, als würde man Spiderman
sagen, er solle nicht an hohen Gebäuden herumklettern, solange er hier war, weil das den Arbeitsschutzrichtlinien widersprach.
Das ging völlig am Kern seiner Existenz vorbei.
Das gesellige Beisammensein mündete, wie nicht anders zu erwarten, in etwas anderes, hauptsächlich deshalb, weil alles, was
Jackson oder Tucker sagten, irgendeine These, die Duncan seit Jahren pflegte, entweder bestätigte oder widerlegte.
»Na«, sagte Duncan, als sie sich hinsetzten. »Das sieht appetitlich aus.«
»Meine Schwester isst keinen Speck«, sagte Jackson, und Annie konnte Duncan ansehen, dass er mit sich rang: Durfte er fragen?
»Hast du noch mehr Geschwister, Jackson?«, fragte er schließlich, vermutlich, weil er dachte, gar nichts zu fragen wäre auch
unhöflich.
»Ja. Vier. Aber sie wohnen nicht bei uns. Sie haben verschiedene Mums.«
Duncan blieb ein Bissen Toast im Hals stecken.
»Oh. Na ja. Das ist …«
»Und keine der Mums heißt Julie«, sagte Tucker.
»Ha!«, sagte Duncan. »Diese Theorie hatten wir sowieso schon verworfen.«
Jackson sah die Männer verständnislos an.
»Mach dir keine Sorgen deswegen, Jack«, sagte Tucker.
»Okay.«
»Ich habe Tucker und Jackson heute Morgen mit ins Museum genommen«, sagte Annie. Es gab bei dieser Unterhaltung sehr wenig
neutrales Terrain, auf das sie sich begeben konnten, da jedes winzige Detail aus Tuckers Privatleben einen lebensgefährlichen
Anstieg des Erregungspegels auslösen konnte. »Hab ihnen das Hai-Auge gezeigt. Erinnerst du dich, dass ich dir davon erzählt
habe?«
»Ja«, sagte Duncan. »Stimmt ja. Deine Ausstellung muss ja bald eröffnet werden.«
»Mittwoch.«
»Ich muss unbedingt zusehen, dass ich kommen kann.«
»Wir haben am Dienstagabend einen kleinen Sektempfang. Nichts Großartiges. Nur ein paar Stadträte und die Freunde.«
»Du solltest Tucker überreden aufzutreten«, sagteDuncan. Es war hoffnungslos, das sah Annie jetzt ein. Das konnte Duncans erste und letzte Chance sein, und die würde er nicht
ungenutzt lassen.
»Ganz klar«, sagte Annie. »Sollte Tucker sein zwanzigjähriges Schweigen brechen, gäbe es keinen passenderen Ort als das Gooleness-Museum.«
Tucker lachte. Duncan guckte auf seinen Teller.
»Ich würde mich auf jeden Fall freuen. Ich … ich weiß nicht, was Annie Ihnen erzählt hat, aber ich bin wirklich ein großer
Bewunderer Ihrer Musik. Ich … Na ja, ich übertreibe bestimmt nicht, wenn ich sage, dass ich ein weltweit anerkannter Experte
bin.«
»Ich hab Ihre Sachen gelesen«, sagte Tucker.
»Oh!«, sagte Duncan. »Puh. Ich … Tja, Sie können mir gerne sagen, bei was ich mich geirrt habe.«
»Ich wüsste nicht, wo ich anfangen sollte«, sagte Tucker.
»Würden Sie mir vielleicht ein Interview geben? Um Dinge richtigzustellen? Sie haben wahrscheinlich die Website gesehen, also
wissen Sie, dass Sie dort fair zu Wort kommen werden.«
»Duncan«, sagte Annie. »Fang nicht damit an.«
»Sorry«, sagte Duncan.
»Es gibt keine Platte«, sagte Tucker. »Es gibt nur mich und mein Leben und fünfzehn Leute wie dich, die aus Gründen, die euch
selbst am besten bekannt sind, zu viel Zeit damit verbringen, herumzuraten, wie dieses Leben aussieht.«
»Ich kann mir vorstellen, dass das so wirkt. Aus Ihrer Perspektive.«
»Ich bin nicht sicher, ob es noch eine andere gibt.«
»Wir könnten die Fragen auf die Songs beschränken.«
»Duncan, treib es nicht auf die Spitze«, rief Annie. »Ich glaube nicht, dass Tucker große Lust dazu hat.«
»Hab ich eigentlich recht gehabt?«, fragte Tucker. »Haben Sie sich ein paar Fragen zurechtgelegt, die beweisen sollten, das
ich der bin, für den ich mich ausgebe?«
»Ich … also, ja. Ich hatte eine.«
»Schießen Sie los. Ich will wissen, ob ich über mein Leben Bescheid weiß.«
»Es ist möglicherweise … Ich frage mich, ob sie möglicherweise zu aufdringlich
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