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Juliet, Naked

Juliet, Naked

Titel: Juliet, Naked Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Hornby
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warf sie auf den Tisch und ging hinaus.

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    »Und wie fühlen Sie sich dabei?«
    »Ich fühle mich beschissen, Malcolm. Was dachten Sie denn?«
    »Definieren Sie … das Wort genauer.«
    »Wie Scheiße.«
    »Das können Sie doch besser, Annie. Sie sind eine eloquente junge Frau. Und ich stecke zehn Pence für Sie in die Pfui-Dose.«
    »Bitte nicht.«
    »Eine Obszönität lasse ich Ihnen durchgehen, aber die zweite musste wirklich nicht sein. Ich denke nicht, dass man sich über
     Regeln so einfach hinwegsetzen sollte. Egal wie die Umstände sind.«
    Malcolm kramte in seiner Hosentasche herum, fand eine Münze und steckte sie in die Gimmick-Spardose, die er im Bücherregal
     hinter seinem Kopf aufbewahrte. Die Spardose war so konstruiert, dass die Münze erst eine Weile darin herumrollte, bis sie
     schließlich zu liegen kam, daher schwiegen sie eine Weile: Keiner wollte etwas sagen, solange die Münze noch rollte. Es schien
     länger als gewöhnlich zu dauern, bis ein beruhigendes Kling verkündete, dass das Geldstück sich zu den anderen Zehn-Pence-Münzen
     gesellt hatte, von denen jede eine Obszönität repräsentierte, die Annie in emotionalen Ausnahmesituationen herausgerutscht
     war. Es warnichts dabei, was auch nur einen Zehnjährigen schockiert hätte. Vor einigen Monaten hatte Annie Ros erzählt, dass ihr von
     all ihren dysfunktionalen Beziehungen die mit Malcolm am meisten Sorge bereitete. Bis zum Curry am Freitagabend war Duncan
     nicht weiter störend aufgefallen, und mit ihrer Mutter telefonierte sie gerade mal fünfzehn Minuten in der Woche; persönlich
     sahen sie sich kaum noch, seit sie nach Devon gezogen war. Aber Malcolm … Malcolm sah sie jeden Samstagmorgen für eine ganze
     Stunde, und jedes Mal, wenn sie es vorsichtig ansprach, ihn vielleicht mal nicht mehr jeden Samstagmorgen oder überhaupt zu
     sehen, versetzte ihn das in unübersehbare Panik. Jedes Mal, wenn Annie sich ausmalte, Stadt und Job zu verlassen und nach
     Manchester, London oder Barcelona zu ziehen, stand die Tatsache, dass sie Malcolm-freie Zonen waren, beschämend weit oben
     auf der Liste ihrer Vorzüge – direkt hinter der Abwesenheit von Duncan, aber noch vor den Verlockungen der fremden Küche,
     dem Wetter oder der Kultur.
    Malcolm war ihr Therapeut. Sie hatte seine Geschäftskarte am Schwarzen Brett im Ärztehaus entdeckt, als die Depressionen wegen
     ihrer Kinderlosigkeit anfingen, doch praktisch auf Anhieb erkannt, dass Malcolm nicht der Richtige für sie war: Er war zu
     nervös, zu alt, zu leicht zu schockieren, selbst durch Annie, die nie etwas tat, das jemanden schockierte. Doch als sie ihm
     erklärte, dass er nicht der Richtige für sie sei, hatte er sie angefleht, es sich noch mal zu überlegen, und sein Honorar
     von dreißig Pfund erst auf fünfzehn und schließlich auf fünf Pfund gesenkt. Wie sich herausstellte, war Annie seine erste
     und einzige Patientin. Er war vorzeitig aus dem öffentlichen Dienst geschieden, um diese Ausbildung zu machen. Er habe seit
     mehrals einem Jahrzehnt davon geträumt, würde bestimmt schnell hinzulernen, er wäre außerdem ohnehin der einzige richtige Therapeut
     in Gooleness und er würde nie wieder jemanden finden, der so interessant und sensibel wäre wie sie … Annie hatte einfach nicht
     das Herz oder die dafür nötige Härte gehabt, ihn sitzen zu lassen, und ertrug die kollernden Münzen nun schon seit zwei Jahren.
     Sie weigerte sich, den Quatsch mit der Pfui-Dose mitzumachen, daher waren es immer Malcolms Zehn-Pence-Stücke, die dort hineinwanderten.
     Wieso er an dieser Pfui-Dose so festhielt, war ihr unbegreiflich.
    »Was haben Sie bloß immer mit Ihrer Spardose?«
    »Wir sind doch hier, um über Sie zu reden.«
    »Aber sehen Sie denn nie fern? Die Leuten sagen ständig … dieses Wort.«
    »Ich sehe durchaus fern. Ich sehe mir nur solche Sendungen nicht an. Die Menschen bei ›Kunst & Krempel‹kommen ohne Obszönitäten aus.«
    »Wissen Sie, Malcolm, das ist genau die Art von Bemerkung, die mich glauben lässt, dass wir einfach nicht die Richtigen füreinander
     sind.«
    »Was? Weil ich sage, dass die Menschen in den Sendungen, die ich mir anschaue, nicht fluchen?«
    »Aber Sie sagen das auf so eine zimperliche Weise.«
    »Tut mir leid. Ich werde versuchen, weniger zimperlich zu sein.«
    Er sagte das leise und unterwürfig, mit einem merklich selbstkasteienden Unterton. Annie fühlte sich schrecklich, wie so oft
     bei eigentlich belanglosen Gesprächen

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