Julischatten
akzeptieren konnte. Lukas wollte sie nicht verlieren, keinen von beiden.
Immer wieder kehrten seine Gedanken zu diesem verrückten Traum zurück. Er hatte Jimi und Sim sehen können. Er hatte die Schlucht gesehen, den Himmel. In seinen Träumen konnte er die Bilder herbeirufen. Er hatte die drohende Gefahr sehen können, die dunklen Gewitterwolken. Aber wie so oft in seinen Träumen hatte er gesprochen und Jimi und Sim hatten ihn nicht gehört.
Lukas dachte an den schrecklichen Moment, als ihm klar geworden war, dass er einen von beiden loslassen musste, um den anderen zu retten. Er hatte Sim erzählt, dass sie ihn in diesem Moment geweckt hätte. Das stimmte nicht ganz. Als er von ihr wach gerüttelt worden war, hatte er bereits losgelassen. Lukas hatte Jimi losgelassen.
Dass er das getan hatte – auch wenn es nur im Traum gewesen war –, verfolgte ihn. Deswegen musste er dringend mit Jimi reden. Musste ihm sagen, dass er immer noch sein Freund, sein Hunka-Bruder war. Dass sie zusammen aufs College gehen würden im Herbst. Dass er ihm verzieh – alles verzieh.
Lukas brachte Ghost auf die Koppel und verabschiedete sich von ihm. Als er in den Trailer kam, war Jimi nicht da und auch sonst niemand – aber das war nicht ungewöhnlich. Vielleicht waren die Mädchen bei irgendwelchen Freundinnen und Jimi war noch unterwegs.
Der Kühlschrank war leer und die Wasserkanister auch. Er war nicht hungrig, aber er hatte Durst. Als er den Wasserhahn in der Küche aufdrehte, kam kein einziger Tropfen. Er beschloss, nach drüben zu gehen, in den Präsidentenpalast, vielleicht waren die Mädchen dort. Und vielleicht konnte ihm jemand sagen, warum im Trailer kein Wasser lief.
Lukas wusste, dass es inzwischen dunkel geworden war. Als er sich dem großem Haus näherte, hörte er Bernadines Stimme. Sie drang aus ihrem Zimmer, das Fenster stand offen. Jimis Name fiel und Lukas wurde hellhörig. Mit nach vorn gestreckten Händen lief er bis zur Hauswand, versuchte, nicht zu stolpern und auch sonst kein Geräusch zu machen. Neben Bernadines Fenster lehnte er sich mit dem Rücken gegen die Wand.
Es war Tyrell, mit dem Bernadine sprach. Sie redeten beide sehr leise, aber Lukas’ Fledermausohren hörten alles.
»Ich bin sicher, er hat seine Lektion gelernt, Mom«, sagte Tyrell. »Die Jungs haben ihm mächtig Angst eingejagt.«
»Wir können uns nicht mehr auf ihn verlassen, Ty«, zischte Bernadine. »Das FBI ist im Res und Jimi eine wandelnde Zeitbombe.«
»Aber als wir zusammen in Denver waren, schien er ganz der Alte zu sein.«
»Das glaubst auch nur du. Er hat uns bestohlen, Ty, deshalb muss er weg«, sagte Bernadine. »Erledige das. Und warte nicht zu lange.«
»Aber Mom, Jimi ist… er…«
»Er gehört nicht mehr zu uns, Ty. Er kann uns alle für Jahre in den Knast bringen, kapiert?«
»Ja, klar.«
»Was ist mit Luke?«, fragte Bernadine. »Weiß er etwas?«
»Nein, Jimi ist immer vorsichtig gewesen.«
»Da wäre ich mir nicht so sicher«, brummte Bernadine.
Lukas hörte ihre Stimme ganz nah. Anscheinend war sie ans Fenster getreten und blickte hinaus. Er drückte sich gegen die Hauswand, hielt den Atem an.
Noch eine ganze Weile stand er dort und hörte zu. Hörte Dinge, die er lieber nicht erfahren hätte. Am liebsten wäre er davongelaufen, weg von diesem Ort, der Zuflucht und Geborgenheit bedeuten sollte. Der alles andere als das war.
Schließlich bewegte er sich seitlich vom Fenster weg zur Ostseite des Hauses. Dort war das Wohnzimmer. Der Fernseher lief und er vernahm Gelächter. Er hatte immer noch Durst, aber den Präsidentenpalast würde er jetzt ganz bestimmt nicht betreten. Ganz vorsichtig lief er zum Trailer zurück. In der Küche fand er eine Dose mit einem abgestandenen Schluck Cola. Den trank er, ging in sein Zimmer und setzte sich aufs Bett.
Die Gedanken jagten durch seinen Kopf wie wild gewordene Hornissen. Tyrell dealte mit Kokain und Jimi steckte mit drin. Bernadine wusste von allem oder noch schlimmer: Sie war der Kopf des Ganzen. Und nun war Jimi für sie zur Gefahr geworden.
Wieder und wieder versuchte er, Jimi auf seinem Handy zu erreichen. Aber der ging nicht dran, so oft Lukas es auch versuchte.
Schließlich hinterließ er ihm eine Nachricht: Sei morgen Mittag an der Schlucht. Es ist lebenswichtig. Luke.
28. Kapitel
Jimi klappte sein Handy zu. Lebenswichtig. Luke hatte schon immer einen Hang zu Übertreibungen gehabt. Er lief vor Robs Trailer hin und her. Oder besser: vor dem, was vom
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