Julischatten
wahr?«
»Niemand weiß, wo er wirklich begraben liegt. Aber es könnte sein. Tashunka Witko hatte einen Cousin, er hieß Horn Chips und wurde später sein Medizinmann. Er war bei der Bestattung dabei und wusste, wohin der Leichnam gebracht worden war. Jimi ist ein Nachfahre von Horn Chips, er…« Lukas beendete den Satz nicht wie beabsichtigt, weil ihm klar wurde, dass es Jimi nicht gefallen würde, wenn Sim etwas über ihn wusste, das er ihr nicht selbst erzählt hatte. Stattdessen sagte er: »Er ist sehr stolz darauf.«
Gitarrenklänge ertönten. Die Band – vier Halbwüchsige aus Pine Ridge, die sich Red Eagles nannten, hatte inzwischen ihr Equipment aufgebaut und die Jungs stimmten ihre Instrumente. Lukas hatte die Red Eagles hin und wieder auf KILI Radio gehört und wusste, dass die Gitarren- und Sangeskünste der vier haarsträubend waren – dafür hatten ihre selbst geschriebenen Texte etwas durchaus Kämpferisches, das den Leuten im Res gefiel.
Inzwischen musste die Sonne untergegangen sein, denn die Luft war kühler und das Atmen leichter geworden. Der Duft von verbranntem Süßgras zog in Lukas’ Nase.
Hufgetrappel und anerkennende Rufe und Pfiffe drangen jetzt an sein Ohr. Die hohen Triller der Frauen gingen ihm jedes Mal durch Mark und Bein. Er wusste, was die Aufregung bedeutete: Die Reiter vom Thundering-Hooves- Rennen waren zurück – und mit ihnen Jimi. In seinem Inneren spürte Lukas leises Bedauern darüber, dass die Zeit, in der er Sim für sich allein gehabt hatte, so schnell vergangen war.
»Das Rennen ist vorbei«, sagte sie mit aufgeregter Stimme, »die Reiter sind zurück.«
»Ich weiß.«
»Nur Zweiter«, stieß Jimi frustriert hervor, als er ein paar Minuten später vor ihnen stand. Lukas roch Arrows Schweiß an Jimis Kleidern.
»Man kann nicht immer gewinnen, Champ.«
»Ich hol mir was zu trinken, bin gleich wieder da.«
Lukas hätte gerne gewusst, wer das Rennen gewonnen hatte, aber es war besser, Jimi nicht danach zu fragen. Die Tatsache, nur Zweiter geworden zu sein, würde ihn den ganzen Abend nicht loslassen und Lukas wusste, was das bedeutete.
11. Kapitel
Nachdem die Sonne hinter den Bäumen verschwunden war, wurde es schnell dunkel. Die Band spielte mittelmäßige Songs und ein paar Leute tanzten. Einige Lakota hatten sich um das große Lagerfeuer geschart, das auf dem Festplatz brannte. Sim saß auf einer Holzbohle, die über zwei Hohlblocksteinen lag. Rechts von ihr hockte Lukas und auf der anderen Seite Teena, ein hübsches, blauäugiges Mädchen in ihrem Alter, das auch ein Pflegekind von Bernadine Jumping Eagle war. Lukas hatte ihr erzählt, dass Teena mit ihm, Jimi und einem jüngeren Mädchen namens Roxie zusammen in einem alten Trailer wohnte, der noch älter war als der von ihrer Tante Jo.
Teena (indigoblaue Kontaktlinsen schienen der neuste Schrei im Reservat zu sein) gab sich ihr gegenüber unbefangen und kontaktfreudig, ganz anders als Cammie oder Marola. Ab und zu plapperte sie wild drauflos und erzählte Sim abenteuerliche Geschichten – unter anderem über blaue Lichter auf dem Friedhof von Manderson, die angeblich Geister der Verstorbenen waren und sie des Nachts verfolgt hatten. Dann wiederum schwieg sie und stierte gedankenverloren in die Flammen.
Mit Jimi hatte Sim noch kein Wort gewechselt, seit er zurückgekommen war. Seine Kriegsbemalung fing an zu verlaufen und verlieh seinem Gesicht im Schein des Feuers eine dramatische Note. Er teilte sich eine Zigarette mit Marola und Sim war sich sicher, dass diesmal nicht nur Süßgras in der Selbstgedrehten brannte, denn der unverkennbare Geruch von Marihuana zog ihr in die Nase. Vermutlich hatte Jimi Little Wolf sein Preisgeld längst in Dope umgesetzt, dem breiten Grinsen nach zu urteilen, das auf seinem Gesicht lag. Er schien sich prächtig zu amüsieren mit der Dramaqueen.
Vor einer Stunde war er noch verärgert und missmutig gewesen, weil er das Rennen nicht gewonnen hatte, doch das schien jetzt vollkommen vergessen zu sein. Genauso wie sie.
Inzwischen fragte sich Sim, wie sie nach Hause kommen sollte, wenn Jimi einen Joint nach dem anderen rauchte. Andererseits beneidete sie ihn, weil er etwas hatte, das ihn aufheiterte, während sie auf dem Trockenen saß und immer missmutiger wurde. Den ganzen Tag hatte sie nichts als Wasser oder Cola zu trinken bekommen und hätte jetzt einen Schluck Alkohol vertragen können. Sie fühlte sich klebrig und staubig zugleich und verloren noch dazu. Mit ein
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