Julischatten
Bäumen kreisten. Das Pfeifen des Windes in den Felsspalten und das Flüstern des Grases, das in ihnen wuchs.
»Es ist schön hier«, sagte Sim, die neben ihn getreten war. »Können wir ein bisschen bleiben?«
»Ja, deswegen sind wir hergekommen. Aber«, er hielt sie am Arm fest, »warte einen Moment, bevor du dich setzt.«
»Okay.«
»Wachsen hier irgendwelche kleinen Pflänzchen mit dreigeteilten Blättern in den Rissen im Fels?«
»Nein.«
»Kein brauner Schwanz mit Hornklapper am Ende im Umkreis von fünf Metern?«
Ihre Antwort kam zögerlich. »Nein.«
»Dann können wir uns setzen.« Er ging noch einen Schritt näher an den Rand der Schlucht und hörte, wie Sim scharf Luft einsog. Hatte sie etwa Angst um ihn? Lächelnd setzte er sich, suchte nach einem Stein und schleuderte ihn in die Tiefe. Sim hockte sich neben ihn, so dicht, dass er die Wärme ihres Armes spüren konnte.
»Wie findet Ghost all diese Orte?«, fragte sie. »Er scheint immer genau zu wissen, wo du hinwillst.«
»Wir haben lange geübt«, antwortete er. »Der Trick ist die jeweilige Richtung, die ich mit ihm einschlage. Aber er kennt auch die Namen der Orte. Wenn ich mit ihm am Horse Hill bin und ihn bitte, mich zur Schlucht zu bringen, dann läuft er hierher. Als Belohnung bekommt er einen Leckerbissen.«
Eine Weile war es still und er hörte Sims Atem, spürte ihre Blicke auf seinem Gesicht.
»Du starrst mich an«, sagte er.
»Gar nicht wahr.«
Er musste schmunzeln. »Mach die Augen zu, okay?«
»Okay.« Nach einer Weile fragte sie. »Kommst du oft an diesen Ort?«
»Nicht mehr so oft wie früher.«
»Bringst du manchmal deine Freundinnen mit?«
Ihre direkte Frage brachte ihn aus dem Konzept und er begann zu stottern. »Nein… natürlich nicht.«
»Nie?«
Verdammt.
»Die Mädels mögen dich, Luke.«
»So?«
»Cammie, zum Beispiel, oder diese Sally, die…«
»Cammie und Sally interessieren mich nicht«, unterbrach er sie. »Und dass sie sich für mich interessieren, das bilden sie sich bloß ein. Sie sind auf der Suche nach einem brauchbaren Ehemann. Aber ich kann nicht Auto fahren, kann kein Dach flicken und ein Mädchen im Notfall nicht verteidigen. Das sind drei der wichtigsten Dinge, die ein vollwertiger Mann im Res können muss.« Es gab noch eine wichtige Nummer vier, aber die verschwieg er ihr lieber.
»Vielleicht ist da ja noch etwas anderes, das den Mädchen an dir gefällt.«
Er konnte das Lächeln in ihrer Stimme hören und wurde unsicher. Machte sie sich über ihn lustig oder meinte sie es ernst? »Ja«, sagte er, fand einen weiteren Stein und warf ihn in die Schlucht. »Sie wissen, dass ich keiner anderen nachschauen kann.«
Sim lachte. Es war ein weiches Geräusch, wie Wind in nackten Zweigen. Er spürte, wie dieses Lachen ihn einschloss, und verliebte sich noch ein wenig mehr.
»Wie heißt sie?«, fragte Sim.
»Wer?«
»Die du mit hierher genommen hast.«
Langsam wurde ihm unheimlich zumute. Sim stellte ihm Fragen, die kein Lakota-Mädchen sich zu fragen getraut hätte. Und es schien, als wisse sie Dinge über ihn, die er niemandem je erzählt hatte. »Nima«, sagte er mit rauer Stimme. Nima hieß Sonne in ihrer Sprache und eine Sonne, das war sie für ihn gewesen. In ihrer Gegenwart war ihm alles hell erschienen und er hatte erfahren, was Liebe wirklich ist. Aber Nima war fort, und was er für sie empfunden hatte, war nur noch Erinnerung.
»Warst du in sie verliebt?«
»Ja.«
»Was ist aus ihr geworden?«
»Sie ist nach Tibet zurückgegangen«, sagte er. Und weil er nicht über Nima reden wollte, stellte er selbst eine Frage. »Und du, warst schon mal richtig verliebt?«
»Nein«, sagte Sim.
Viel zu schnell und viel zu hart, wie er fand. Lukas wohnte mit einer Dreizehnjährigen und einer Sechzehnjährigen zusammen und wusste, dass das Thema Verliebtsein bei Mädchen in diesem Alter unerschöpflich war. Manchmal vergaßen Roxie und Teena, dass er da war, und er erfuhr mehr über diese Dinge, als ihm eigentlich lieb war.
Roxie war dabei, erste Erfahrungen zu machen, obwohl sie viel zu jung war dafür. Sie war ein hübsches Mädchen (das wusste er von Jimi), sensibel und klug. Sie konnte ihr erstes Mal kaum erwarten. Es wäre Bernadines Aufgabe gewesen, sich um die Mädchen zu kümmern, mit ihnen über Sex und Verhütung zu reden. Aber Bernadine fühlte sich nur dafür verantwortlich, ihre Pflegekinder mit dem Lebensnotwendigsten zu versorgen. Für Gespräche hatte sie keinen Nerv.
Teena
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