Julischatten
ihm Dinge ins Gesicht sagte. Aber das spielte jetzt keine Rolle mehr, denn es war bereits passiert.
»Was war denn so wichtig, dass du den Tod eines Fohlens in Kauf genommen hast?«, fragte sie. »Ich dachte immer, für euch Indianer hat alles eine Seele, auch die Tiere, die Bäume, die Steine.«
Jimi packte sie fest am Arm, kam mit seinem Gesicht so nah an ihres heran, dass sie seinen Tabakatem roch. »Jetzt schalt mal einen Gang runter, okay? Deine Tante ruft an und ich springe… glaubst du wirklich, so läuft es? Was mir wichtig ist, geht dich einen Scheiß an.«
Sim machte sich von ihm los und schaffte es, sich seitlich wegzuschieben. »Es war schrecklich, dem Fohlen beim Sterben zuzusehen.«
»Warum, verdammt noch mal, hast du es dann getan?«
»Weil ich es nicht allein lassen wollte. Es muss furchtbar sein, alleine zu sterben.«
Jimi wollte etwas erwidern, aber die Fliegengittertür klappte und Lukas kam herein. Sim ging auf ihn zu und begrüßte ihn mit einer Umarmung.
»Und?«, fragte sie, »wie findest du die Kleinen?«
»Sie sind großartig«, erwiderte er begeistert, »so weich. Ich werde Jo fragen, ob ich einen haben kann.«
Jimi, der nur mit Mühe zu begreifen schien, wovon sie redeten, schüttelte genervt den Kopf und widmete sich wieder der Klimaanlage. Zusammen mit Lukas setzte er den Kasten in das Fenster ein und machte sich daran, ihn mithilfe von Holzleisten zu befestigen.
Sim ertappte ihn immer wieder dabei, wie er sie anstarrte, wenn er glaubte, sie würde es nicht merken. Ob er sie jetzt für eine hysterische Kuh hielt? Was war schon ein totes Fohlen angesichts der Toten von Wounded Knee? Genauso dachte Jimi Little Wolf mit Sicherheit.
Die Klimaanlage saß endlich fest in der Fensteröffnung, und als Jimi sie einschaltete, fauchte sie los wie ein in die Enge getriebenes Raubtier. Er testete die verschiedenen Einstellungen, doch selbst beim Einschalten der höchsten Stufe verschaffte der Kasten einem nur dann Kühlung, wenn man sich direkt davorstellte.
Lukas, der von draußen gegengehalten hatte, kam durch die Hintertür wieder herein, tastete sich durch den Gang bis zum Tisch vor und setzte sich auf einen der Stühle. Mit dem Zeigefinger seiner Linken fuhr er immer wieder über die rechte Handfläche und an einer Stelle verzog er das Gesicht.
»Hast du dich verletzt?«, fragte Sim.
»Ich glaube, ich habe mir einen Splitter eingefangen.«
»Zeig mal her.« Sie nahm seine Hand und stieß einen mitfühlenden Laut aus. Ein Holzsplitter von der Größe eines Zahnstochers hatte sich in das Fleisch unter seiner Daumenwurzel gebohrt. »Das ist ein halber Balken, den du dir da unter die Haut gejagt hast. Ich hole ihn raus, okay? Bin gleich wieder da.«
Lukas murmelte ein »Danke«.
Sim lief nach drüben ins Blockhaus und kam mit einer Nadel, einer Pinzette, Desinfektionsspray (Jo hatte darauf bestanden) und einer Mullbinde zurück. Jimi stand rauchend vor dem Trailer. Als sie an ihm vorbeiwollte, sagte er leise: »Wenn eine Stute ihr Fohlen nicht annimmt, dann gibt es einen Grund dafür. Vermutlich war es krank.«
Sie blieb stehen und blickte ihn an. An seinen Augen sah sie, dass er nicht mehr wütend war.
»Wenn ich gekonnt hätte, dann wäre ich gekommen. Okay?«
Sim sagte nichts. Sie nickte nur.
Lukas saß am Tisch und wartete. Sim zog einen Stuhl zu ihm heran, und als sie sich setzte, stießen ihre Knie zusammen. Lukas legte seine Hand mit dem Handrücken auf die Tischplatte.
Jimi kam zurück in den Trailer, holte sich eine Cola aus dem Kühlschrank und setzte sich ihnen gegenüber. »Was soll denn das werden?«, fragte er spöttisch. »Ein chirurgischer Eingriff?«
Panisch zog Lukas seine Hand zurück. Sim griff nach seinem Handgelenk und legte die Hand auf den Tisch zurück.
»Er spinnt«, sagte sie. »Ich hab bloß etwas zum Desinfizieren mitgebracht. Vertrau mir.«
Mit skeptischer Miene öffnete Lukas seine Hand erneut und Sim weitete mit der Nadel vorsichtig den Eintrittskanal des gut vier Zentimeter langen Holzsplitters, um ihn dann einfacher mit der Pinzette herausziehen zu können.
Jimi kippelte auf seinem Stuhl und beobachtete Sim mit einem spöttischen Grinsen im Gesicht. Seine Blicke machten sie nervös, aber es gelang ihr gleich beim ersten Versuch, den Holzspan herauszuziehen. Lukas’ Hand hatte nicht einmal gezuckt während der Prozedur, doch der Schweiß rann ihm in Bächen von den Schläfen, trotz der laufenden Klimaanlage.
Als Sim das Desinfektionsmittel
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