Julius Eichendorff 02 - Nomen est Omen - Eifel Krimi
weißt du doch sonst immer ganz gut allein.«
»Muss ich mich erst zum Hänneschen machen, oder erzählst du mir, was ihr wisst?«
»Wie kommst du nur darauf, dass wir überhaupt etwas wissen?«
Julius ging Herold scherzhaft an die Kehle.
»Gnade!«
Julius ließ los, und August Herold rückte endlich mit der Sprache heraus. »Alles, was wir wissen, ist, dass sich eine Person von der Gruppe gelöst hat. Unser Informant hat es der Polizei nicht gesteckt, weil er sich nicht unbeliebt machen wollte.«
»Er hat es vorgezogen, sich bei euch lieb Kind zu machen.«
»So spricht aber kein Mitglied.«
»Wer war es, der sich abgesetzt hat?«
»Du weißt es nicht von mir.«
»Was weiß ich nicht von dir?«
Herold trank sein Glas leer und strich Julius über den spärlichen Haarkranz.
»Derjenige, mit dem du ein Wörtchen über seinen Ausflug reden solltest, ist leider schon gegangen. Derjenige, der sich von der Führung abgesetzt hat, war kein anderer als …«
»August, nun komm mal wieder rein, du bist hier der Gastgeber!« Herolds Frau stand in der offenen Tür des Wintergartens.
»Tut mir Leid, Julius, ich muss.«
»Dann sag es mir eben nicht. Und ich dachte, wir sind Freunde. Na ja, das Leben geht schon seltsame Wege.«
»Und Hessland auch, Julius. Hessland ist im Regierungsbunker Wege gegangen, weg von der Gruppe. Ich hab nichts gesagt.«
Aber Julius hatte genug gehört.
IV
»Schall und Rauch«
Der nächste Tag begann mit einem Wellness-Programmpunkt. Julius wollte wieder einen kühlen Kopf bekommen, denn die heißen Fährten brannten hinter seiner Schädeldecke. Als er oberhalb Rechs in die weißen Weinberge stieg, zog der Wind eisig über seinen Kopf, den schütteren, wie ein Hufeisen um den Schädel liegenden Haarkranz ohne Mühe durchdringend.
Das tat gut.
Auch die kalte Luft einzuatmen. Es roch nach frischem Schnee. Julius war extra einen Weg gegangen, auf den sich keine Wanderer oder schlittenfahrende Kinder verirrten. Er wollte allein sein. Die einzige Spur menschlichen Lebens, die sich in den Weinbergen fand, war ein Schneemann, dem ein frühreifer Zögling die Möhre an die falsche Stelle gesetzt hatte. Moralisch, nicht anatomisch.
Es waren keine Fußspuren im Schnee zu sehen, in der Nacht hatte es geschneit und neue weiße Laken über das Tal gelegt. Während Julius das Knirschen des Schnees unter seinen Wanderschuhen vernahm, ging er die Verdächtigen durch. Steve Reifferscheidt stand auf der Liste. Ganz oben. Das junge Golftalent, das dem zukünftigen Schwiegervater nicht gefiel. Liebe war ein gutes Motiv, dachte Julius. Verbotene Liebe erst recht. Grads Tochter war weg, und Julius zweifelte keinen Augenblick daran, dass dies mit Reifferscheidt zusammenhing. Vielleicht hatte sie mit ihrem Vater gebrochen? Vielleicht brauchte sie auch nur Abstand.
Aber wie passte der Tresor mit seinem güldenen Inhalt zu Reifferscheidt? Konnte er davon gewusst haben, dass Grad daraus etwas stehlen wollte? Hatte es ihm vielleicht dessen Tochter gesteckt? Anna hatte ihm im Telefongespräch am frühen Morgen erzählt, dass in den Bunkerplänen kein Tresor an dieser Stelle verzeichnet war und dass noch immer niemand wusste, was sich in ihm befunden haben konnte. Sie hatte aber auch gesagt, dass Grad nach dem Zweiten Weltkrieg einen Großteil der Elektrik im Rosengarten installiert hatte, ein Riesenauftrag, über den er reich geworden war. Er hatte die Möglichkeit gehabt, einen Tresor einzubauen. Aber warum? Hatte er vielleicht gar nichts aus dem Tresor gestohlen, sondern etwas geholt, das ihm gehörte?
Julius blieb stehen und fuhr mit der Hand über einen der Rebstöcke, die am Weg standen. Kaum vorstellbar, dass aus ihnen innerhalb weniger Monate Trauben sprießen würden. Sie wirkten abgestorben, wie verkrüppelte alte Männer, die man im Schnee vergessen hatte. Wie Schimmel lag dieser auf dem knorrigen Holz. Julius strich mit dem Finger darüber, dem weißen Pulver beim Herunterrieseln zusehend. Es wurde eins mit dem Schnee am Boden.
Auch Inge Bäder war verdächtig. Nicht, weil sie Grad verachtete und sein Golfspiel für miserabel hielt. Was immer Goldenes im Tresor gelegen hatte, die Kunsthändlerin Bäder würde seinen Wert schätzen können. Sie würde auch einen Käufer finden können. Hatte sie vielleicht einen Gegenstand besessen, den sie sicher, ja hochsicher, untergebracht haben wollte? Hatte Grad sich vor rund fünfzig Jahren angeboten, ein Versteck im streng geheimen Bunker anzulegen?
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