Julius Eichendorff 02 - Nomen est Omen - Eifel Krimi
hatte er bloß denken können, dass er auf sie verzichten könnte?
Das Experiment hatte auch einen Namen bekommen.
Er nannte es »Die Soßenorgel«.
Für ihr Jungfernkonzert hatte er etwas von Mozart ausgesucht. Das Klavierkonzert in G-Dur, KV 453 aus dem Jahr 1784. Julius legte die CD ein, schloss den Deckel und drückte auf Play. Dann stellte er sich vor die Soßenorgel und band die Augenbinde um.
Er zog das Register.
Der erste Satz erklang. Das Eröffnungsritornell schwang aus den kleinen Boxen. Violinen, Oboen, Flöte, Fagott, ein neues sanft-lyrisches Thema war in den Violinen zu hören und wurde von den Holzbläsern aufgenommen. Julius rieb die Hände aneinander, damit sie warm und geschmeidig wurden. Nach einer unvermittelten Modulation nach Es-Dur kehrte die Musik nach G-Dur zurück, es erklang ein kurzes Violinthema und ein sehr kurzes Tutti.
Takt 74.
Das Klavier setzte ein.
Julius’ Hände schnellten nach vorn und ergriffen die passenden Noten.
Er stellte sie vor sich ab.
Diesmal gab es keine Schüssel.
Die Schüssel war ein Irrweg gewesen.
Julius wartete. Er wollte nicht alle Noten spielen. Nur diejenigen, die ihn berührten.
Einige Bravourpassagen waren zu hören, eine Modulation nach D-Dur, ein neues Thema wurde aufgestellt.
Julius griff wieder zu.
Das reichte.
Es mussten nicht viele Noten sein.
Nur die richtigen.
Er nahm die Binde ab.
Vor ihm standen Sternanis, grüne Kardamomkapseln, eine Schalotte, Geflügelbrühe, kalte Butter, Pfeilwurzelmehl und frisch gepresster Orangensaft.
Dies hatte der Zufall in Form des Klavierkonzerts in G-Dur ihm gegeben.
Nun war der Koch gefragt.
Julius ließ die Musik weiter laufen, nahm sich einen Hocker und schob die Soßenorgel vorsichtig nach hinten.
Als Erstes zerstieß er zwei Sternanis und zehn der kleinen Kardamomkapseln. Dann wandte er sich der Schalotte zu, würfelte sie, schwitzte sie an. Mit jeder Entscheidung, die er traf, wurden die kommenden deutlicher. Nun musste er die Schalotten mit einem viertel Liter Orangensaft und derselben Menge Geflügelbrühe ablöschen.
Danach musste er warten.
Das Klavierkonzert war bei Takt 227 angekommen, dem Beginn der Reprise. Erst im zweiten Satz spielte Julius weiter. Die Soße war auf ein Drittel eingekocht. Er nahm den Topf vom Herd und passierte sie durch ein Sieb, band sie mit etwas Pfeilwurzelmehl und rührte fünfzig Gramm kalte Butterwürfel unter. Die Soße bekam Glanz und dickte weiter ein.
Julius probierte.
Er tunkte den Löffel noch einmal ein.
Es war … ungewöhnlich.
Aber gut. Wirklich gut. Es schmeckte ein wenig nach Weihnachten, dank Sternanis und Kardamom, aber auch nach Sommer, durch den Orangensaft.
Eine sehr gute Soße.
Wozu würde er sie servieren können?
Es konnte nur eine Antwort geben: zu dem Fleisch, das Orangen innig liebte. Eine der Geschmackskombinationen, die nach Julius’ Meinung Gott den Menschen geschenkt hatte. Es musste Ente sein. Also holte er zwei kleine Brüstchen aus dem Kühlraum, ritzte sie an der Hautseite mehrfach ein, würzte mit Salz und Pfeffer und briet sie schließlich in der heißen Pfanne mit Pflanzenfett an. Dann legte er die Entenbrüstchen mit der Hautseite nach unten in einen Schmortopf und ließ sie im vorgeheizten Backofen bei 200 Grad fünf Minuten weiterbraten.
Ein feiner Duft erfüllte die Küche.
Ungeduldig holte Julius den Topf heraus, legte die Entenbrüstchen auf einen Teller und träufelte die Soße kunstvoll darüber.
Was fehlte noch?
Auch diese Antwort kam von selbst. Rotkohl. Mit Griebenschmalz, Zwiebeln und Apfelschnitzen. Abgeschmeckt mit Johannisbeergelee und Zitronensaft. Perfekt. Julius trug das fertige Gericht zum Fenster, um es im Tageslicht besser sehen zu können.
Winterliche Entenbrust. So würde er es nennen.
Aber jetzt würde er es erst einmal essen.
Kurze Zeit später saß Julius im Auto und wies FX den Weg nach Monschau. Was den Fall betraf, war jetzt die Polizei gefragt. Er konnte nichts machen, außer sich abzulenken. Abzulenken von den Ermittlungen, die ihn in eine lebensbedrohliche Situation gebracht hatten. Aber das Leben ging weiter, Arbeit war zu tun.
Er hatte FX von den Geschehnissen im Gartenhäuschen erzählt.
»Ich hoffe, Sie fassen ihn! Ich hoffe, das war’s.«
FX sagte nichts. Er murrte nur. Julius hatte ihn gefragt, ob er mit auf einen kleinen geschäftlichen Ausflug kommen wolle. Doch Julius hatte nichts vom Kleingedruckten erzählt.
»Wieso muss ich eigentlich fahren? Ich bin net
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