Julius Eichendorff 02 - Nomen est Omen - Eifel Krimi
näher.
Ein dicker Vogel ließ sich auf der Regenrinne des gegenüberliegenden Hauses nieder.
Julius wandte nicht den Kopf. Er starrte geradeaus. Warum, wusste er selbst nicht.
Die Geräusche kamen näher, schienen schreiend laut.
Er erwartete den Schuss.
Eine üppige Frau ging an ihm vorüber. »Guten Tag.«
Julius’ Herz verlangsamte nicht den schnellen Takt. Es raste weiter. Es hielt den Körper weiter im Zustand höchster Anspannung. Jetzt wurde es ihm klar. Er hatte die Angst verdrängt, so gut er konnte. Er hatte es als Blödsinn abgetan, dass er das nächste Opfer sein könnte. Nun hatte es nicht mehr als einer vorbeigehenden freundlichen Frau gebraucht, um die Angst unerwartet aus ihrer Höhle zu schrecken.
Jetzt war sie überall.
Julius war auf der Spur eines Mörders. Und wie ein angeschossenes Tier würde dieser alle Vorsicht ablegen, wenn Julius’ ihn stellte. Wie das Tier hätte auch der Mörder nichts mehr zu verlieren.
Julius vergewisserte sich seines Schweizer Taschenmessers. Im Kofferraum lag eine Bockdoppelflinte, die er als Jäger besitzen durfte.
Geladen.
Aber es würde dauern, bis er sie herausgeholt hätte.
Die Frau wechselte die Straße, ging zum Haus mit der Nummer 126. Klaus Grads Haus.
Sie klingelte.
Der dicke Vogel hob von der Regenrinne ab und schoss wie eine träge Kanonenkugel über Julius hinweg. Wollte ihm die Natur irgendetwas sagen?
Die Frau klingelte wieder.
Julius ging auf die andere Straßenseite, die Hände in den Jackentaschen versenkt. Er war nun ein Spaziergänger. Er genoss die gute Luft. Er schlenderte. Der Pulsschlag raste weiter wie ein Geigerzähler nahe Tschernobyl.
Die Frau war jung, Ende zwanzig, schätzte Julius, obwohl er beim Schätzen von Frauen vorsichtig geworden war. Es musste VHS -Kurse für das weibliche Geschlecht geben, in denen Techniken vermittelt wurden, das optische Alter vom biologischen abzukoppeln. Die Frau war braun gebrannt. Sie hatte braune Haare. Trug eine braune Jacke und eine braune Lederhose. Sie sah aus wie eine Rumkugel auf Beinen.
»Herr Grad ist nicht da«, hörte Julius sich sagen.
Die Frau drehte sich um.
»Wo ist er denn?«
Was sollte er sagen? Warum hatte er überhaupt etwas gesagt? »Vielleicht kommen Sie lieber ein andermal.«
Sie klingelte wieder.
»Ich habe Ihnen doch gesagt, er ist nicht da.«
»Wer sind Sie überhaupt?« Ihr Gesicht zeigte Misstrauen, das Kinn vorgereckt.
»Sie können mir glauben, wenn ich sage, dass er nicht da ist.« Die Frau wandte sich von der Tür ab und ging an Julius vorbei. »Warten Sie doch! Wenn Sie mir sagen, warum Sie zu ihm wollen, sage ich Ihnen, wo er ist.«
Sie blieb stehen. »Sind wir hier im Kindergarten?«
»Sie werden es verstehen.«
»Ich soll Ihnen sagen, warum ich zu ihm will?« Sie verschränkte die Arme und senkte den Kopf, zum Angriff bereit.
»Ja. Ich kann es nicht jedem einfach so erzählen.«
»Gut. Dann erzählen Sie es doch einfach seiner Tochter.« Julius verstand nicht sofort. »Oder gibt es etwas über meinen Vater, das ich nicht wissen darf?«
Die Schneeflocken blieben stehen.
X
»Nomen est Omen«
Julius hatte Erfahrung mit Peinlichkeiten. Er hatte sie in der Pubertät näher kennen gelernt.
Aber dies war eine neue Dimension.
Der Schnee stand in der Luft. Die Zeit still. In einer ruhigen Kamerafahrt umkreiste Julius sich selbst. Der Bildausschnitt blieb auf seinem Mund stehen. Das Kinopublikum fragte sich, was er sagen würde.
Julius fragte sich, was er sagen würde.
Noch nie hatte er eine Todesnachricht überbracht. Barbara Grads gereizte Stimmung machte es nicht leichter.
Die richtigen Worte.
»Ihr Vater ist tot. Es tut mir Leid.«
Barbara Grad zuckte zusammen. Sie faltete ihre zitternden Hände vor dem Gesicht. Dann brach sie zusammen, lag wie eine Ertrunkene auf dem Bürgersteig, Arme und Beine kraftlos neben sich. Julius griff in den Schnee und rieb ihr Gesicht damit ein. Mit einem Schrei schreckte sie auf. Dann kam die Erinnerung zurück.
»Nein. Nein. Nein .«
»Stehen Sie erst mal auf. Wir setzen uns zu mir ins Auto.«
»Das darf nicht sein! Nicht nach dem Streit. Nein. Das …«
Julius half ihr hoch, stützte ihren rechten Arm und führte sie über die Straße zu seinem Wagen, wo er sie mit leichtem Druck auf den Beifahrersitz beförderte.
»Möchten Sie eine Praline?«
»Was?«
Julius verstand und ging zum Kofferraum, wo er gut verpackt immer eine Flasche Wein hatte. Man konnte nie wissen. Er schnitt die Kapsel ringsum
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