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Jung, blond, tot: Roman

Jung, blond, tot: Roman

Titel: Jung, blond, tot: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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ich kann Sie auch aufs Präsidium vorladen. Und ich habe Kollegen, die sehr, sehr unfreundlich sein können.« Rückert fuhr sich mit beiden Händen durchs fettige, schüttere Haar und meinte dann: »Das Mädchen hat Vera am Freitag in der Schule angesprochen. Am Samstag dann kam ein Mann im dunklen Anzug vorbei und hat uns ein Angebot gemacht...« »Was für ein Mädchen?«
»Keine Ahnung, Vera kannte sie nicht. Sie war schon älter.«
»Wieviel zahlt man Ihnen?« »Zehntausend Mark fürs erste Mal...« Durant wartete eine Weile, in ihr kochte es, sie fragte: »Heißt das etwa, es sollte noch weitergehen?« »Für jedes weitere Mal die Hälfte. Wir hätten alle unsere Schulden bezahlen können...«
»Dafür, daß Ihre Tochter mit allen möglichen Männern schläft! Wissen Sie eigentlich, was Sie dem Kind antun?« »Wissen Sie eigentlich, was dieses verfluchte Leben mir und uns angetan hat?!« schrie er. »Wir haben nichts, wir sind nichts, wir werden nie etwas haben! Aber unsere Kinder hätten es eines Tages besser haben können!« »O nein, Herr Rückert, so einfach können Sie sich das nicht machen! Ich sage Ihnen, was Sie eines Tages gehabt hätten! Sie hätten eine Tochter gehabt, die ihre Seele und den Glauben an das Gute im Menschen verloren hätte! Eine Tochter, die eines Tages zur Flasche oder zu Drogen gegriffen hätte oder noch schlimmer, ihren Körper verkauft hätte, so wie Sie es ihr beigebracht haben! Ist es das, was Sie wollen? Ist das die Liebe, die Sie für Ihre Tochter übrig haben? Wissen Sie, bevor ich zur Mordkommission kam, war ich bei der Sitte. Viele Huren sind zu Huren geworden, weil in ihrer Kindheit etwas furchtbar schiefgelaufen ist. Und ich kenne einige, die irgendwann einmal von ihren Eltern verkauft oder mißbraucht wurden!«
Sie machte eine Pause, steckte sich, als sie den vollen Aschenbecher auf dem Tisch sah, eine Zigarette an, um ihre Nerven zu beruhigen, fragte: »Was hat Menzel mit Ihrer Tochter gemacht?«
»Er hat wohl mit ihr geschlafen«, flüsterte Rückert. »Nur mit ihr geschlafen?« »Hat er doch, oder?« fragte er und blickte hilfesuchend auf seine Frau. Ihre Mundwinkel zuckten nervös. »Hat er?« fragte Julia Durant. »Ja, er hat. Sie kann sich aber nicht an alles erinnern. Er hat ihr vorher wohl irgendwas gegeben.«
»Was? Drogen, Alkohol?«
»Keine Ahnung.«
»Hat er sie geschlagen?«
»Sie hatte blaue Flecken an den Armen und Beinen und so etwas wie einen Knutschfleck am Hals.« »Warum läuft Vera um diese Zeit im Nachthemd herum? Ist sie krank, und warum ist sie krank? Sind es die Auswirkungen von Montag nacht?« »Sie wird die Woche über zu Hause bleiben.« »Sie hat Schmerzen, nicht?« Frau Rückert nickte verzweifelt, wieder Tränen. »Haben Sie das Geld schon?«
»Der Mann hat es gleich am ersten Abend dagelassen. Müssen wir es abgeben?« fragte Rückert ängstlich. Die Kommissarin unterdrückte ihre unsägliche Wut, sie hätte am liebsten alles kurz und klein geschlagen. Sie zwang sich zur Ruhe und sagte kühl: »Nein, das brauchen Sie nicht. Ich müßte jetzt aber noch mit Vera sprechen. Unter vier Augen.«
Rückert und seine Frau gingen zögernd hinaus, schickten Vera ins Zimmer. »Würdest du bitte die Tür schließen?« bat Julia Durant. Vera schloß die Tür; sie machte einen verschüchterten Eindruck und blieb mitten im Zimmer stehen. Sie war dreizehn, sah aus wie dreizehn. Unschuldig, kindlich, naiv. So wie sie dastand, schüchtern, ängstlich, traurig, hätte Julia Durant sie am liebsten in die Arme geschlossen und sie beschützt, bis sie alt genug sein würde, sich selber zu beschützen.
»Setz dich zu mir«, bat sie, »ich will dir nichts tun, nur ein paar Fragen stellen.« 169 Vera folgte der Aufforderung. Sie hielt die Beine eng geschlossen, die Hände über dem Schoß gefaltet, vom Aussehen her ähnelte sie der Mutter, das gleiche Profil, die Nase, der zartgeschwungene Mund. Julia Durant hätte zu gern in ihre Seele geschaut, um zu sehen, welche Kämpfe sich dort jetzt abspielten, wie groß der Trümmerhaufen war, den die geilen Schwänze hinterlassen hatten. Sie ging behutsam mit ihr um, Vera beantwortete alle Fragen, so gut sie konnte, doch die Erinnerung an Montag nacht war nur bruchstückhaft vorhanden, oder, was auch sein konnte, Vera wollte sich nicht erinnern, ein Schutzmechanismus, der automatisch in Gang gesetzt worden war, um das gräßliche Geschehen zu verdrängen. Sie erzählte sehr leise, machte viele Pausen, sie sprach von den

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