Jung, blond, tot: Roman
Delgado, bevor Sie hier weiter rumschreien, haben wir Ihnen noch etwas zu sagen; Ihre Tochter war nicht nur drogensüchtig... sie war außerdem HIV-infiziert.« »Was ist das?« Er zog die Stirn fragend in Falten.
»Sie hatte Aids.«
Von einem Moment zum anderen wurde Delgados Gesicht zu einer aschfahlen, starren Maske. Er stand auf, die Augen vor Panik geweitet, ging zur Balkontür, holte tief Luft, drehte sich wieder um, tastete an seiner Hemdtasche, dann an seiner Hose. »Haben Sie eine Zigarette?« fragte er mit plötzlich schwacher Stimme. Kullmer holte die Schachtel aus seiner Jacke, hielt sie ihm hin, Delgado nahm eine, steckte sie zwischen die Lippen, Kullmer gab ihm auch noch Feuer.
»Danke.« Seine Hände hatten Mühe, die Zigarette zu halten. »Sie hatte Aids? Wirklich? Und da gibt es keinen Zweifel? Überhaupt keinen?« Er versuchte zu lächeln, heraus kam eine Fratze. »Unsere Ärzte arbeiten zuverlässig. Aber wie Sie sicherlich wissen, brauchen Sie persönlich keine Angst zu haben, sich infiziert zu haben. Der Virus wird in der Regel durch ungeschützten Geschlechtsverkehr oder verseuchte Spritzen bei Drogenabhängigen übertragen.« Delgado verzog plötzlich das Gesicht, als litt er heftige Schmerzen. Er atmete hastig, blankes Entsetzen in den Augen. »Nein, nein, natürlich, ich brauche wohl keine Angst zu haben. Wenn Sie sagen...«
»Können wir Ihnen helfen, Herr Delgado?« fragte Julia Durant, die einen bösen Verdacht hatte, weshalb Delgado sich auf einmal so seltsam benahm.
»Gehen Sie, bitte gehen Sie! Und lassen Sie uns in Ruhe!«
»Wenn wir Ihnen irgendwie helfen können...«
»Gehen Sie, verdammt noch mal, hauen Sie endlich ab!«
schrie er.
Durant und Kullmer folgten der Aufforderung. Draußen sahen sie sich kurz und vielsagend an. Kaum hatte sich die Tür hinter ihnen geschlossen, hörten sie lautes Geschrei, das Splittern von Geschirr. Delgado schrie, sie schrie lauter. Klatschende Geräusche, Prügel. Und wieder Schreie, diesmal nur von ihr. Die Schreie gingen in Wimmern über. Kullmer und Durant warteten einen Moment, um notfalls eingreifen zu können.
»Wir sollten vielleicht besser noch einmal hineingehen«, sagte Kullmer. Die Kommissarin zögerte, hielt Kullmer zurück. »Warten Sie.«
Eine Frau mit Lockenwicklern im pechschwarzen Haar steckte ihren Kopf aus der Tür, eine Zigarette lose im Mundwinkel, ein giftgrüner Nylonmorgenmantel umspannte ihre fette Gestalt, ihre Füße waren nackt und schmutzig. »So geht das andauernd«, sagte sie mit heiserer Stimme.
»Die prügeln sich fast jeden Tag. Und die Kleine hat auch ständig was abgekriegt,« »Was meinen Sie damit?« fragte Kullmer.
»Na ja, die sind doch bekannt dafür. Er säuft, hurt rum und schleppt ständig andere Schlampen hier an. Kein Wunder, daß Antonia so geworden ist. Sie war kein schlechtes Mädchen, sie hatte nur einen Scheißvater!«
»Wie ist sie denn geworden?«
»Ach kommen Sie, jeder im Haus weiß das doch - die ist schon mit zwölf oder dreizehn auf den Strich gegangen. Ich will ja nichts Schlechtes sagen, aber Sie sollten mal den Alten fragen, wie seine Tochter auf den Strich gekommen ist - er wird's zwar abstreiten, aber der hat sie selber da-hingeschickt. Oder was glauben Sie, wovon die sich das ganze Zeugs in der Wohnung leisten konnten?« »Sie scheinen gut informiert zu sein, Frau...« »Äh!« sagte sie abwinkend, ohne die Zigarette aus dem Mund zu nehmen. »Man weiß schnell, was hier los ist!« Sie knallte die Tür zu, ohne die Gelegenheit zu einer weiteren Frage zu geben.
»Danke für die Auskunft!« flüsterte Julia Durant grinsend und bewegte sich mit Kullmer auf das Treppenhaus zu. »Denken Sie das gleiche wie ich?« fragte Kullmer. »Ich weiß zwar nicht genau, was Sie denken, aber die Reaktion war doch ziemlich eindeutig. Delgado hat Angst. Und wenn das stimmt, was die Alte gesagt hat, daß er sie auf den Strich geschickt hat, dann hat er sie womöglich auch zugeritten. Und deswegen hat er Angst, sich bei seiner eigenen Tochter infiziert zu haben. Es ist wirklich ein verdammt tiefer Sumpf aus Scheiße, wie Berger zu sagen pflegt!« Auf dem Weg zurück ins Präsidium fragte sie: »Sagen Sie, würden Sie mir bei Menzel helfen?« 175 Kullmer lachte kurz auf, schüttelte den Kopf. »Bei jedem andern würde ich ja sagen, bei Menzel aber... Nein, der ist mir eine Nummer zu groß. Wir können nur verlieren.« »Wozu gibt es dann überhaupt noch Polizei, wenn diejenigen, auf die es ankommt, in den
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