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Jung, blond, tot: Roman

Jung, blond, tot: Roman

Titel: Jung, blond, tot: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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vergessen«, sagte Berger, drehte den Kugelschreiber durch seine Finger, be netzte die Lippen mit Speichel und fuhr fort, »das bei der Lindner gefundene Sperma ist identisch mit einer der beiden Sorten, die man bei der kleinen Nettleton festgestellt hat.«
Das Fallen einer Stecknadel hätte wie der Knall einer explodierenden Bombe gedröhnt. Durant fingerte nervös eine Zigarette aus ihrer Tasche und steckte sie zwischen die Lippen. »Was? Das verstehe ich nicht. Das gibt doch keinen Sinn! Verdammt noch mal, kann das nicht ein Irrtum sein?« Sie hielt kurz inne, nahm die Zigarette aus dem Mund, fragte dann: »Moment, welches bei der Nettleton festgestellte Sperma? Das ältere oder das zur Tatzeit ejakulierte?«
»Kompliment, Kollegin, daß Sie mitdenken! Als ich mir vorhin den Obduktionsbericht in aller Ruhe durchlas, stellte ich mir genau die gleiche Frage. Ich rief sofort bei der Gerichtsmedizin an und bat um einen Vergleich. Und siehe da, das Ergebnis war erstaunlich; die Nettleton hatte, wie Sie sich erinnern können, circa achtzehn bis vierundzwanzig Stunden vor ihrem Tod Geschlechtsverkehr. Das dabei in sie ejakulierte Sperma ist von demselben Kerl, der auch die Lindner direkt vor ihrem Tod gebumst hat.« Er zündete sich eine Zigarette an, meinte beiläufig: »Verdammte Qualmerei, andauernd will ich es mir abgewöhnen... Was soll's!«
»Irrtum ausgeschlossen?« fragte Julia Durant.
Berger schüttelte den Kopf. »Irrtum ausgeschlossen. Es sind Gegenproben gemacht worden. Ein und derselbe Kerl.«
Durant stand auf, ging zum Fenster, schaute auf die Straße, setzte sich Sekunden später auf den Schreibtisch und ließ die Beine baumeln und machte ein nachdenkliches Gesicht. »Wenn ich jetzt richtig liege, dann haben wir zwei Möglichkeiten; sowohl die Nettleton als auch die Lindner hatten Geschlechtsverkehr mit demselben Mann, der aber mit beiden nur geschlafen hat; oder dieses Schwein hat mit beiden geschlafen, aber nur die Lindner umgebracht.« »Oder dieser Mann ist in beiden Fällen der Täter, ändert aber seine Vorgehensweise«, warf Berger ein. »Das ist die dritte Möglichkeit, die mir aber selbst recht abwegig erscheint. Es gibt nur wenige Menschen, die sowohl Rechtsais auch Linkshänder sind. Die Frage ist vielmehr, welche Verbindung besteht oder bestand zwischen Maureen Nett-leton und Sabine Lindner?«
    Er sah an Durant vorbei an die Wand, die zuletzt vor mindestens zwanzig Jahren gestrichen worden war. Die Kaffeekanne war zur Hälfte gefüllt, zwei Becher daneben. Kullmer wippte mit dem Stuhl, betrachtete seine Hände und Fingernägel, schien gelangweilt. Berger fuhr fort: »Wo finden wir den Kerl, der mit beiden geschlafen, aber nur eine umgebracht hat? Vielleicht aber auch beide, vielleicht auch keine. Ich will diese verdammte Frage gelöst haben, bevor diese Drecksau noch mehr Unheil anrichtet! Das war's von meiner Seite.« Die Männer erhoben sich fast gleichzeitig, das Büro leerte sich, nur Julia Durant blieb sitzen. Berger sagte: »Sie machen sich jetzt bitte auf den Weg zu den Lindners. Finden Sie heraus, ob es ein Tagebuch gibt. Ich brauch Ihnen ja wohl nicht zu erklären, wie Sie das anstellen sollen. Viel Glück.«

Samstag, Mittagszeit
    Schulz war seit einer Stunde im Krankenhaus. Kinderkrebsstation. Überfüllte Zimmer, überfüllte Flure. Er fühlte sich elend, wie immer, wenn er herkam. Die vom Krebs ausgemergelten und zerfressenen Gestalten, gezeichnet von Medikamenten, Chemotherapie. Große, fragende Augen in kleinen Gesichtern, kahlköpfig, hilflos und irgendwie weise. Sabrina lag zusammen mit drei anderen Kindern in einem Zimmer. Sie hatte keine Haare mehr, das Gesicht war aufgedunsen, der Körper abgemagert. Sie hing am Tropf, eine Chemikalie, die langsam in ihren Körper schlich. Der traurige Blick zum Fenster gerichtet. Er ging auf ihr Bett zu, sie wandte den Kopf, der Hauch eines Lächelns. Sie hatte Schmerzen, ihr ganzer Körper war ein einziger Schmerz, die Ärzte sagten es, doch schien sie sich mit dem Schmerz auf wundersame Weise arrangiert zu haben. Auf die Chemotherapie aber reagierte sie wie zu Beginn - mit Übelkeit, Erbrechen, oft mit Krämpfen. Seit zwei Monaten lag sie hier, ein fünfjähriges Mädchen, das so ernst und weise blickte, als kannte sie bereits alle Geheimnisse dieser und der jenseitigen Welt, als wußte sie, was immer man mit ihr anstellte, diese Welt war nur ein kurzer Zwischenstopp auf einer langen Reise. Schulz setzte sich auf die Bettkante und strich

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