Jung, blond, tot: Roman
ihr vorsichtig übers Gesicht. Ihre Augen zeigten ihre Freude, ihre Hand griff nach seiner.
»Na, wie geht's meinem Mädchen heute? Besser?« »Es geht.«
»Haben sie dir schon gesagt, wann du heim darfst?« »Nein. Darf ich denn heim?« »Es wird bestimmt nicht mehr lange dauern. Tut mir leid, daß ich so lange nicht da war, aber ich habe einen Riesen berg voll Arbeit. Es gibt leider sehr viele böse Menschen.« Er machte mit den Händen eine weit ausholende Bewegung und ein theatralisches Gesicht. »Sag mal, hat hier drüben nicht ein Junge gelegen?«
»Er ist gestern abend gegangen«, antwortete sie ruhig. »Er ist einfach eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht. Ich muß vielleicht auch irgendwann einschlafen und nicht mehr aufwachen.« »Wer behauptet das?«
»Ein Junge hat das gesagt. Er sagt, wir alle müßten irgendwann einschlafen. Aber er hat gesagt, daß es einen Himmel gibt.«
»Klar gibt's den. Aber ich denke, der Himmel kann noch eine ganze Weile auf dich warten. Wir lassen uns von diesem blöden Ding in dir nicht unterkriegen. Wir nicht.« »Ich möchte heim.«
»Ich werde mit dem Arzt sprechen. Vielleicht drückt er ja ein Auge zu und läßt dich mitgehen. Nicht heute, aber vielleicht morgen schon. Was hältst du davon?« Zwei Monate, dachte Schulz, zwei Monate in einer Klinik, umgeben von lauter schwerkranken Kindern, über allem der Pesthauch des Todes, der durch die Gänge und Zimmer kroch, sich auf die Betten und über die kleinen Gestalten legte. Mochte der Tod für den einen oder anderen etwas Schönes sein, Schulz haßte ihn, wenn er die Kinder sah. Sie hatten diese Behandlung nicht verdient. Sie sollten leben, lachen, spielen, herumtollen können. Sie sollten Fragen stellen, in die Schule gehen, die Eltern nerven, Geschwister ärgern. Aber sie sollten nicht hier liegen. Nicht diese unschuldigen kleinen Wesen, die keiner Fliege etwas zuleide getan hatten. Er blieb den ganzen Tag bei Sabrina, sie mußte sich übergeben, zäher, grünlicher Schleim kam aus dem leeren Ma gen. Ihre Augen traten weit hervor, das Gesicht puterrot, ein langer, den ganzen Körper erfassender Krampf quälte sie. Es dauerte lange, bis sie sich erholt hatte. Schulz drückte dieses zitternde Bündel fest an sich, er weinte und ließ sie nicht los, bevor nicht die letzte Träne getrocknet war. Sie sollte ihn nicht so sehen, nicht die Hoffnung verlieren. Gegen Mittag sprach er mit dem jungen Arzt, einem der vielen aufopferungsvoll arbeitenden Menschen hier. Sie setzten sich zusammen ins Arztzimmer. »Hat sie noch eine Chance? Gibt es nicht irgendeine Möglichkeit, ihr zu helfen?«
»Sicher gibt es die. Es gibt sogar mehr als eine. Wenn sie zum Beispiel noch einen Bruder oder eine Schwester bekäme, würde die Chance sofort steigen...« »Das dauert neun Monate!«
»Genau. Und in neun Monaten ist es nach dem Stand der Dinge zu spät. Aber wir haben ja bereits vor ein paar Tagen mit Ihrer Frau darüber gesprochen, daß wir einen passenden Knochenmarkspender haben, sie hat es Ihnen sicherlich erzählt. Doch Sie wissen, die Operation kann nur in England durchgeführt werden. Sabrina spricht allerdings auch recht gut auf die Chemotherapie an, auch wenn Sie es vielleicht als Quälerei betrachten, ihre Werte haben sich jedenfalls gebessert. Wenn auch nur leicht, aber immerhin. Die Senkung sieht besser aus als noch vor einer Woche. Und viel besser als vor einem Monat. Ich will jetzt keine trügerische Hoffnung schüren, doch Sie sollten nicht aufgeben. Sabrina tut es auch nicht.« »Aber das sicherste wäre immer noch eine Knochenmarktransplantation?«
»Wie gesagt, wir haben einen Spender, besser gesagt eine Spenderin«, sagte der Arzt. »Wir haben die Werte von Sabrina über eine internationale Datenbank geschickt. Die 69 Spenderin lebt zwar in den USA, aber das ist das geringste Übel. Es müssen nur ein paar Formalitäten erledigt werden.«
»Und die Kosten?«
»Das gehört zu den Formalitäten. Die Spenderin ist bereit. Wir haben es vorgestern erfahren.« »Das muß ich erst verkraften...« »Einen Cognac?«
»Dann bleibt sie uns ja doch erhalten...« »Wunder können nicht garantiert werden, aber die Transplantation ist eines der sichersten Mittel in diesem Stadium und bei dieser Form der Krankheit. Und bei Kindern schlägt diese Behandlung erfahrungsgemäß besonders gut an.«
Schulz trank seinen Cognac und verabschiedete sich vom Arzt. Im Flur umwehte ihn wieder dieser Pesthauch. Dieses Sterile, diese Blicke, diese Leere und
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