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Jung, blond, tot: Roman

Jung, blond, tot: Roman

Titel: Jung, blond, tot: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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einiger Jungs tauchten auf, doch mit keinem von ihnen hatte sie eine Beziehung. Sie schrieb von einem Sturz, bei dem ihr Jungfernhäutchen gerissen war, was den Obduktionsbericht erklärte, nach dem sie nicht mehr Jungfrau war. Nur selten fanden sich im Buch kritische Bemerkungen, wenn, dann betraf es die Ehe ihrer Eltern, die nur noch auf dem Papier bestand, vor allem aber die unmoralische Beziehung zwischen dem französischen Busenwunder Elaine und Maria Schubert. Elaine, die wie ein Unwetter über die Familie hereingebrochen war, hatte nichts unversucht gelassen, Maria Schubert zu der Erkenntnis zu bringen, daß die wahre Liebeserfüllung nur ohne Männer stattfinden kann. Wenn in diesem Tagebuch überhaupt eine echte Gefühlsregung zu erkennen war, dann tiefer Abscheu Annettes gegenüber Elaine, was aber weder Elaine noch ihre Mutter im geringsten zu stören schien. In Kürze hätte Annette einen Termin bei einem gewissen Dr. Tomlin gehabt, um ihren viel zu kleinen, jungenhaften Busen ein wenig vergrößern zu lassen. Er hatte sie untersucht (mit den zärtlichsten Händen, die jemals ihren Körper berührten) und ihr lächelnd mitgeteilt, es gäbe absolut keine Bedenken deswegen, viele würden heutzutage einen solchen Schritt wagen. Ansonsten war das Tagebuch eine Aneinanderreihung belangloser Daten und aussageloser Sätze, das Wetter spielte eine wesentliche Rolle (sie war eine Wetter- und Klimafanatikerin, trug an jedem Tag die Temperaturen, Luftfeuchtigkeitswerte und Niederschlagsmengen ein), bestimmte täglich ihren Biorhythmus, zeichnete auf, wie sie sich morgens nach dem Aufstehen fühlte (allem Anschein nach war sie öfters depressiver Stimmung). Wenn die Kommissarin jedoch Sensationen wie bei Sabine Lindner erwartet hatte, so konnte sie schon bald das Tagebuch auf die Seite legen und ein weiteres Kreuzchen in der Spalte »erfolglos« machen. Annette Schubert war ein Mädchen, das nur für ihre Karriere lebte und sonst kaum Träume hatte. Als sie fertig gelesen hatte, war es bald Mitternacht. Ein heftiger Wind kam auf, die Vorhänge wurden wie Segel aufgebläht, am westlichen Horizont flackerte es in immer kürzeren Abständen rötlich auf. Dumpfes Grollen aus der Unendlichkeit des Universums. Das Blätterrascheln im Baum vor dem Haus, das zeitweise wie Zischen giftiger Schlangen klang, hatte etwas Bedrohliches. Eine merkwürdige Stille trotz des fernen Donners und des Zischens aus dem Baum. Sie stellte sich ans Fenster und lehnte sich auf die Brüstung. Unten liefen zwei Frauen sich leise unterhaltend mit eiligen Schritten vorbei, ihre hohen Absätze klapperten durch die Nacht. In der undurchdringlichen Schwärze bekriegten sich zwei Kater. Hinter Fenstern flimmerten Fernsehapparate. In ihrem Kopf drehte sich ein Karussell, vollgestopft mit Informationen, die doch keine waren. Da waren diese Morde, die unnahbaren, schweigsamen Menschen, die hinter dicken Mauern wohnten. Null Hinweise auf den Täter. Sie zündete sich eine Gauloise an, blies den Rauch aus dem Fenster, der Wind fühlte sich angenehm auf ihrem Gesicht an. Sie war felsenfest überzeugt, daß noch weitere Morde geschehen würden. Vielleicht schon heute nacht, wenn Schneider, der Psychologe, recht behielt, daß ein Serienmörder in immer kürzeren Abständen tötete, töten mußte. Sie fühlte sich miserabel, nicht körperlich, sondern im Kopf. Ihre Nerven rebellierten. Sie hatte schon viele Erfolge als Polizistin zu verzeichnen gehabt (obgleich ein Erfolg auch immer mit Opfern zu tun hatte), doch hier gab es bisher nur Opfer. Und das machte ihr zu schaffen. Ein Gefühl von Leere und Verzweiflung überkam sie. Plötzlich dachte sie an ihre Mutter, ihren Vater, die wunderbare Ehe, die sie geführt hatten, dagegen stand ihre eigene gescheiterte Ehe. Wozu war dieses Scheißleben eigentlich gut? Sie verfiel für Minuten in tiefes Selbstmitleid, fragte sich, was denn der Sinn ihres Lebens war. Plötzlich straffte sich ihre Gestalt, sie sagte leise zu sich, ich werde mich nicht gehenlassen, drehte sich um und holte aus dem Kühlschrank eine Flasche Bier. Sie setzte sich in den Sessel und trank in kleinen Schlucken. Sie schlief im Sessel ein.

Montag, 20. September, 12.00 Uhr
    Patanec hatte seine letzte Patientin vor der Mittagspause um Viertel nach elf empfangen, ein junges, gerade fünfzehn Jahre altes Mädchen, das unter panikartig auftretenden Angstzuständen, sogenannten Panikattacken, litt. Sie war klein und dunkelhaarig, ein Pummel mit noch

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