Junge Liebe 050 - Bye,bye, Mauerblümchen
rangenommen werden musste, damit sie wieder richtig tickt. Damals war mir nicht ganz klar gewesen, was er damit gemeint hatte, aber heute erschien es mir einleuchtend. Mum bräuchte vielleicht auch mal wieder ne Runde Sex, damit sie wieder richtig tickt.
Dad trank genussvoll seinen Scotch, goss sich sogar noch einen ein, mit dem er sich in seinen Sessel setzte. Da stand ich nun, mal wieder der Buhmann, aber so langsam fand ich Gefallen an meiner neuen Familienrolle.
„Jacob Lorenz, ich schätze, wir werden uns nochmal hinsetzen müssen”, knurrte Mum leise.
„Klar. Wir können das gern tun. Du und ich. Ohne Großmutter. Oder schaffst du das nicht?” Wild funkelte ich sie an.
Man sah deutlich, dass sie schwankte. Sollte sie bei ihrem Standpunkt bleiben und die Erziehung meiner Person weiterhin mit Großmutter gemeinsam durchziehen oder sollte sie ihr jetzt in den Rücken fallen?
„Wie wäre es mit einem Gespräch zwischen Dad, dir und mir. Immerhin seid ihr meine Eltern.”
„Sylvia!”, beschwor Großmutter sie bedrohlich.
Uhhh ... ich konnte den Wandel schon spüren, förmlich danach greifen. Mum sah in der Tat so aus, als würde sie es in Erwägung ziehen, Großmutter außen vor zu lassen.
„Nun, ich denke, wir drei sollten uns hinsetzen.”
„Das seh ich auch so.” Großmutter nahm prompt wieder Platz, ich runzelte verwirrt meine Stirn. Hatte ich mich so getäuscht?
„Nein, Mutter. Phillip, Jake und ich. Es tut mir leid.” Und das tat es wirklich. Plötzlich tat sie mir auch leid.
„Das ist also der Dank.” Großmutter sah sie lange an, bevor sie ihre Serviette zusammenknüllte, auf den Teller warf und mit wehender Kittelschürze das Zimmer verließ.
Um den Familienfrieden wieder etwas herzustellen, räumte ich den Tisch ab und legte Großvaters Münzsammlung in den Wintergarten. „Großvater? Komm mit, ich bring dir gleich einen Kaffee.” Vertraut nahm ich ihn am Arm, führte ihn aus dem Wohnzimmer.
Offen gestanden war ich etwas nervös. Solch eine Situation gab es noch nie.
Großvater setzte sich vor seine Alben und ich brachte ihm seinen Kaffee, dann ging ich zurück zu meinen Eltern.
Dad saß noch immer im Sessel, Mum stand vor dem Tisch, sah plötzlich fürchterlich hilflos aus und ich kaute auf meiner Unterlippe herum.
Alles ändert sich einmal
„Das ist mal neu”, murmelte Dad.
„Mum, vielleicht sollten wir uns zu Dad setzen. Am Esstisch hat das immer so hochoffiziellen Charakter”, schlug ich vor und schob sie sanft zu ihrem Mann, dann nahm ich selbst Platz. „Okay, bevor jetzt irgendwer was sagt, möchte ich gern etwas loswerden. Ich mag Großmutter. Wirklich. Aber dass sie mir heute eine runtergehauen hat, das war zu viel des Guten. Ehrlich, ich habe nichts getan, was das verdient hat. Mum, bei allem Respekt, aber ich lasse mir von ihr nicht vorschreiben, mit wem ich meine Zeit verbringe und schon gar nicht lass ich mir von ihr verbieten, wie ich rede. Ich habs geschätzte dreihundertmal gedacht und gesagt, aber ich bin volljährig. Lasst mich, in Gottes Namen, erwachsen werden. Ihr durftet das auch.” Ich holte tief Luft, bereitete mich darauf vor, wieder etwas Falsches gesagt zu haben, doch Mum saß da wie ein Häufchen Unglück.
„Mum?”
„Jake, du darfst doch erwachsen werden. Ich will dich ja nur … beschützen.”
Ich fuhr mir durch die Haare. Das wurde komplizierter, als angenommen. „Das ist ja auch nett von dir, aber wie soll ich merken, dass etwas gut oder schlecht für mich ist, wenn ich nicht die Erfahrung machen kann. Hör mal, ich hab aus Prinzip was gegen Drogen, also werde ich nicht zum Kiffer, Kokser oder Heroiner … oder wie die sich nennen. Ich mag Besoffene nicht, also werde ich auch selbst nicht hackedicht durch die Straßen rennen. Ich bin zu blöd und zu naiv, um zur Schlampe zu mutieren. Ich hab mir meine Schamhaare abrasiert, ja. Aber das macht mich nicht zum Kleingangster. Ich habe eine neue Frisur und neue Klamotten, und auch das macht mich nicht zu einem schlechten Menschen. Ich lasse mir von zwei schwulen Jungs die Haare schneiden, das macht mich nicht gleich zu einem Homo, wie Großmutter sich so schön ausgedrückt hat. Ich denke, ich bin viel zu vernünftig, um den ganzen Scheiß passieren zu lassen, vor dem du so viel Angst hast. Aber ich will raus. Ich will sehen, was es noch gibt, außer diesem Haus, euch und die beknackte Schule.” Ich sah sie einen Moment lang an. „Ich habe euch nie Ärger gemacht. Warum vertraust du
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