Junge Liebe 050 - Bye,bye, Mauerblümchen
Himmel, wo steckst du? Ich sterbe hier vor Sorge!“, rief sie und augenblicklich schwenkte die Sorge in ihrer Stimme in Wut um.
„Mum, bitte beruhige dich. Mir geht es gut. Ich ...“
„Red doch keinen Mist, Jacob Lorenz! Erstens beruhige ich mich, wann es mir passt, und zweitens geht es dir nicht gut. Das höre ich doch. Also rede. Wo bist du?“
Diese energische Stimme ertrug ich gerade so gar nicht. „Mum! Krieg dich ein, mir geht es gut, okay? Ich bin bei Freunden. Ich weiß noch nicht, wann ich nach Hause komme. Es ist spät geworden letzte Nacht und … na ja, ich habe hier geschlafen.“
„Freunde? Welche Freunde? Jake, ich bin umgekommen vor Angst.“
„Robin und Dan, okay? Ich bin bei Robin und Dan. Bist du jetzt zufrieden? Es tut mir leid, dass du dir Sorgen gemacht hast, aber ich kann auf mich aufpassen!“ Fuck, wem erzählte ich diesen Scheiß eigentlich? Ich sah Robin an der Tür stehen und zuckte hilflos die Schultern. Ich konnte nicht auf mich aufpassen. Das hatte ich letzte Nacht doch eindrucksvoll bewiesen. „Mum, ich komme nachher nach Hause. Versprochen. Es tut mir leid.“
Mum schwieg eine Weile, dann sagte sie nur: „Okay, sei bitte zum Abendessen da.“
„Ja.“ Ich legte auf und ließ den Kopf an die Wand hinter mir sinken. „Ich kann ihr das nicht sagen. Vielleicht … also, kann ich nicht sagen, dass ein Mädchen gierig über ihren Sohn hergefallen ist? Im Eifer des Gefechts kann doch so etwas passieren, oder?“
„Sicher“, sagte Robin und legte die Klamotten aufs Bett. „Aber früher oder später wird es rauskommen. Denk immer daran.“ Er streichelte mir kurz über die Wange, nahm mir das Telefon ab und verließ das Zimmer.
Den ganzen Tag verkroch ich mich bei Robin im Haus. Der war zwar irgendwann arbeiten gegangen, doch ich rührte mich nicht aus dem Zimmer hinaus. Das Aufeinandertreffen mit meiner Familie wollte ich so gut es ging hinauszögern. Ich sah Mum schon vor mir, wie sie mich mit kritischem Blick musterte und Großmutters Worte, dass sie es ja gewusst hätte, konnte ich ebenfalls schon hören. Aber vermeiden konnte ich es auch nicht, denn wenn ich ihnen die Wahrheit sagte, wäre ich in Großmutters Augen eine Schwuchtel. Und in Mums? Klar, sie fand Dan süß, aber der war auch nicht ihr Sohn. Wie wäre es erst, wenn plötzlich klar würde, dass ihr eigen Fleisch und Blut schwul ist? Das war doch immer noch etwas anderes. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie sie sich hinstellte und sagte: ‚Oh, mein Jake ist ja so süß.’ Nein, das würde nicht passieren. Also, was blieb mir übrig? Das völlig entfesselte Mädchen, welches sich im alkoholisierten Zustand über meinen Hals hergemacht hatte? Leider würde dies nicht die blauen Flecken an meinen Handgelenken erklären, die ich am Vormittag entdeckt hatte. Diego war wirklich stärker gewesen. Sehr viel stärker. An meinen Handgelenken hatten sich kleine Blutergüsse gebildet, genau da, wo sich seine Finger in meine Haut gegraben hatten und wo sein Handballen sich auf meinen Arm gedrückt hatte.
Ich rieb mir die Hände. Von Robin hatte ich einen Rollkragenpulli bekommen, der recht dünn war und lange Arme hatte. Ich zog sie hinunter, um die blauen Flecken zu verdecken, als Robin durch mein Viertel fuhr.
„Den Zettel hast du?“, fragte er leise. Er hatte mir vor dem Losfahren einen kleinen, gelben Zettel gegeben, auf dem seine Festnetznummer und auch die Handynummer draufgeschrieben waren. „Ruf mich nachher an, ja?“
„Mach ich. Da vorn, das Ziegelsteinhaus“, murmelte ich und biss wieder die Zähne zusammen.
„Sicher, dass du allein gehen willst?“, fragte er, als er vor dem Haus meiner Familie hielt.
„Ja, ich werde eh nicht die Wahrheit sagen. Robin, ich weiß nicht, wie ich dir danken soll. Euch beiden. Was ihr in der letzten Nacht für mich getan habt, das war ...“
„Selbstverständlich. Hör auf, dich dafür zu bedanken, Kleiner. Ruf nachher an und lass dich morgen sehen, mehr will ich im Moment nicht.“
Ich nickte schnell, wollte ihm die Hand geben, doch lieber kuschelte ich mich noch einmal, wenn auch nur kurz, in diese warme Umarmung. „Ich hab dich auch lieb“, flüsterte ich.
„Ich dachte, du hättest schon geschlafen“, sagte er lächelnd und sah mir in die Augen.
„Hab ich auch, aber es ist trotzdem irgendwie angekommen.“ Verlegen senkte ich den Blick, und als ich seine Lippen wieder auf meiner Stirn spürte, schloss ich die Augen. Es fühlte sich
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