Junge rettet Freund aus Teich (German Edition)
übrigens «tiefer Purpur». Ich habe ein paarmal versucht, auch Mutter die Musik nahezubringen, doch bin ich regelmäßig auf Granit gestoßen. Es liegt daran, dass sie es einfach nicht gut finden will , da kann Ritchie Blackmore Vierundsechzigstel spielen, bis er schwarz wird. Für Mutter ist das nur ein einziger Brei und Krach, bei dem sich noch dazu alles endlos wiederholt. Selbst Jon Lord ist für sie kalter Kaffee. Dabei kommt der von der Klassik und kann Bach mindestens so gut spielen wie Hard Rock. Ich verstehe partout nicht, wie man sich so wenig für seinen einzigen Sohn interessieren kann.
Manfred ist enorm in die Höhe geschossen, er überragt mich um Haupteslänge. Ich habe das Gefühl, dass er ebenso wenig mit mir anfangen kann wie ich mit ihm, was aber keiner von uns zugibt. Vielleicht handelt es sich aber auch nur um eine Übergangszeit, und in ein paar Wochen verstehen wir uns wieder blendend. Glaube ich zwar nicht, aber wer weiß. Wenn es weiter abwärtsgeht mit unserer Freundschaft, dann werde ich von einem Tag auf den anderen wegbleiben, ohne ein Wort zu sagen, und wenn er bei mir zu Hause in Harburg anruft, lege ich auf. Soll er mal sehen, wo er bleibt, einen anderen Freund hat er offenbar nicht, es ist mir überhaupt schleierhaft, wie und mit wem er sich außerhalb der Ferien und der Wochenenden beschäftigt.
Ich habe es aufgegeben, ihn nach «Made in Japan» zu fragen. Und siehe da, plötzlich fängt er mit dem Thema an. Es wurmt ihn wohl, dass es mir nichts mehr auszumachen scheint. Heute kommt er zur Abwechslung mal mit einer ganz guten Idee: Es gibt in der Nähe der Tonkuhle ein abgelegenes Waldstück, in das sich praktisch nie jemand verirrt. Manfred schlägt vor, dort eine Hütte zu erbauen. Gesagt, getan. Mit Äxten und allem möglichen Werkzeug bewaffnet stiefeln wir fortan jeden Tag dorthin und schuften von morgens bis abends. Viel mehr als Holz hauen, schleppen und sonstige Hilfsarbeitertätigkeiten kann ich nicht, aber Manfred hat den Überblick, und nach einer Woche steht die Hütte.
«Zur Feier des Tages gehen wir in die Scharfe Ecke. Da kannst du dich stundenlang an einer Cola hochziehen.»
«Oma Emmi lässt mich niemals in eine Kneipe. Außerdem darf man da sowieso erst ab achtzehn hin.»
«Mir doch egal. Ich komm überall rein.»
Das glaub ich ihm sogar, hier kennt jeder jeden, und wenn Manfred in die Scharfe Ecke geht, glaubt der Wirt, sein Vater habe es ihm erlaubt, und wenn er ihn rausschmeißt, gibt’s Ärger. Und Polypen, die das kontrollieren, gibt’s höchstens in Tostedt. Die rücken nur bei einer Anzeige an.
«Du kommst da vielleicht rein, aber ich nicht. Wenn Oma Emmi das rauskriegt, erzählt sie es meiner Mutter, und dann war’s das.»
«Mann, du Eddel, wir müssen das doch feiern. Du musst dir was Vernünftiges einfallen lassen. Kannst dich doch einfach wegschleichen, wenn die Alte eingeschlafen ist.»
Ich kann es nicht leiden, wenn er so über Oma Emmi redet, aber ich will auch keinen Streit. Manchmal kommt es mir so vor, als warte er nur auf eine Gelegenheit, mir endlich eine zu wischen. Außerdem weiß er bis heute nicht, dass ich mit Oma Emmi in einem Bett schlafe und es mir praktisch nicht möglich ist, mich unbemerkt zu entfernen. Aber dann habe ich eine Idee:
«Wenn du mir ‹Made in Japan› leihst, komme ich mit. Sonst nicht.»
Da habe ich den Bauernlümmel kalt erwischt. Er guckt wie ein Pinscher und überlegt ewig. Dann sagt er: «Ey, wenn da auch nur ein Kratzer drin ist, weißt du, was los ist. Um neun steh ich vor eurer Haustür.»
«Nee, halb zehn ist sicherer.»
«Aber pünktlich, ich schwör dir das!»
Ich sag besser nichts.
Der 7. 7. 1974 ist ein historisches Datum, denn heute ist das Finale der Fußballweltmeisterschaft, in München, auf deutschem Boden. Ich habe das Wohnzimmer zum Glück ganz für mich alleine, weil Oma Emmi und Frau Donath auf die Terrasse gegangen sind und versprochen haben, in den kommenden neunzig Minuten zur Abwechslung mal nicht zu stören. Gestern haben die Brasilianer das Spiel um Platz drei vergeigt, gegen Polen, muss man sich mal vorstellen! Da können sie von ihrem hohen Ross mal absteigen, von wegen, die spielen, dass einem schwindlig wird. Zumindest ich habe davon nichts mitgekriegt! Nun geht’s also gegen Holland, die wie wir alle Gruppenspiele gewonnen haben und mit 6:0 Punkten an der Spitze stehen. Erstaunlich, dass ein so kleines Land wie Holland immer wieder regelmäßig ganz vorne
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