Junge rettet Freund aus Teich (German Edition)
will sich absetzen. Der Aschenbecher ist riesig wie ein Suppenteller, ich schätze die Kapazität auf einhundert Kippen. Ich bin mittlerweile von Navy Cut auf Bison Selbstgedrehte umgestiegen, weil ich mir die Barzerei bei Minimum zehn Zigaretten am Tag sonst nicht mehr leisten kann. Wenn ich nicht so viel rauchen würde, hätte ich mir «Made in Japan» und «Who Do We Think We Are» längst kaufen können. Aber wie soll das gehen, ich hab mittlerweile schon morgens nach dem Aufstehen Schmacht. Im Nachlass von Onkel Horst war auch eine Pfeife, die ich mir unter den Nagel gerissen habe und manchmal in der Schule in der großen Pause rauche. Ich bin der Einzigste an unserer Schule, der Pfeife raucht. Die meisten scheinen zu glauben, dass Pfeifentabak noch viel stärker ist als der von Zigaretten, stimmt aber gar nicht. Pfeiferauchen schockt jedenfalls.
Manfred hat sein Glas bereits halb geleert. Glucker. Er trinkt, als wäre er Weinkenner, was lachhaft ist, ich weiß zufällig, wie richtige Weinkenner trinken. Onkel Otto ist nämlich einer, und das sieht dann noch mal ganz anders aus. Aber wenn sich Manfred unbedingt zum Affen machen will, sein Problem. Obwohl es hier in der Scharfen Ecke eigentlich auch egal ist, da hat sowieso niemand eine Ahnung davon, wie man anständig Wein trinkt.
«Du musst mal probieren, wie geil das schmeckt, Alkohol und Zigaretten zusammen. Da kannst du original doppelt so viel rauchen.»
Er versucht wirklich alles, um mich zum Trinken zu animieren. Ich hätte mal meine Tropfen mitnehmen sollen, dann wär vielleicht was los.
«Kennst du die Leute hier eigentlich alle?»
«Der Linke da heißt Herr Huhn und ist auch Bauer.»
Toller Name für einen Bauern!
«Was für ’n Bauer denn?»
«Obstbauer.»
«Und was für ’n Obst?»
«Alles Mögliche.»
«Und der andere?»
«Wie, hast du den nicht erkannt? Das ist doch Herr Wiegand, dem gehört der Edekaladen!»
«Ach so, ja. Nee, ohne seinen Kittel hab ich den nicht erkannt.»
Herr Wiegand ist ein schmales Männlein, das so aussieht, als würde es jeden Moment aus den Latschen kippen. Er hat einen eiförmigen Kopf und leidet unter nervösen Störungen. Ununterbrochen kneift er die Augen zusammen und zieht dabei die Mundwinkel hoch oder fasst sich ins Gesicht. Voll die spastischen Zuckungen. Ich muss an Herrn Langwerner denken, der ist aber ein anderes Kaliber und würde nach Feierabend sicher nicht in einer Kneipe rumhängen.
«Sterben musst du sowieso, schneller geht’s mit Marlboro.»
Manfred raucht seit neuestem Marlboro und bringt die ganze Zeit Sprüche, die er irgendwo aufgeschnappt hat.
«Wissen ist Macht. Nichts wissen macht nichts.»
Pause.
«Einmal mucken, Zähne spucken.»
Pause.
«Lieber Rotwein als tot sein.»
Pause.
«Es gibt viel zu tun – lassen wir es liegen.»
Das geht eine ganze Weile so. Irgendwann schraubt sich Herr Wiegand aus seinem Hocker und wankt sturzbetrunken zum Ausgang. Uwe ruft ihm hinterher: «Tschüs, Peter, komm heil nach Hause.» Die beiden Bauern bleiben wie angewurzelt sitzen. Sie haben noch kein einziges Wort miteinander gewechselt. Verstehe ich nicht. Die Scharfe Ecke habe ich mir anders vorgestellt. Wein, Weib, Gesang, so was in der Art. Eine Jukebox gibt’s auch keine und einen Plattenspieler oder Radio auch nicht. Totenstille. Es ist gerade mal eben zehn. Wo sind bloß die ganzen Todtglüsinger hin? Dass von denen irgendjemand in Tostedt oder anderswo ist, kann ich mir nicht vorstellen. Wozu auch? Von Holzapfels weiß ich, dass sie nur zweimal im Jahr ins Kaufhaus Bader fahren. Und in den Urlaub fahren die nie. Herr Huhn zahlt schweigend, steht auf und torkelt raus, ohne noch irgendjemanden eines Blickes zu würdigen. Als er weg ist, dreht sich Herr Ristoff zu uns um. Ich wusste es!
«Was macht ihr denn hier? Seid ihr ausgebüxt oder was? Trinkt doch noch mal was, komm, ich geb einen aus.»
Man merkt, wie Manfred mit sich ringt. Eigentlich müsste er sich ja solidarisch mit seinem Vater erklären. Man sieht, wie es in seinem Spatzenhirn tackert und er sich eine Eselsbrücke zu bauen versucht, von wegen, er hätte Herrn Ristoff Geld aus dem Kreuz geleiert und ihm damit eine Niederlage beigebracht oder so was. Uwe guckt wie ein Auto. Der will auch nur Umsatz machen, ist schließlich sein gutes Recht.
«Danke, Herr Ristoff, einen nehmen wir noch. Zwei Weißwein, bitte.»
Ich will protestieren, aber bevor ich mich hier komplett lächerlich mache, sage ich besser nichts. Ich brauch
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