Junge rettet Freund aus Teich (German Edition)
aushändigt. Ich hab ihm schon Geld geboten und mein Mikroskop, aber das interessiert ihn alles nicht. Ihm geht es mit seinem ganzen Hass nur darum, mich zu unterdrücken.
Meine einzige Hoffnung ist, dass Bernd jemand anderen auf den Kieker nimmt, und ich überlege schon immer krampfhaft, was man da tun könnte. Es gibt nämlich meiner Meinung nach viel bessere Folteropfer, zum Beispiel Dirk Schmidt. Der hat Schuppenflechte, dünne, fettige Haare und abartig knallrote Wulstlippen, voll die Mutation. Die Krönung ist, dass er dreimal die Woche zum orthopädischen Turnen muss, weshalb er sowieso schon andauernd gefoltert wird. Manchmal binden sie ihn nach Schulschluss an den Fahrradständer und lassen ihn dort einfach liegen. Irgendwann fängt er an zu blöken wie ein verlassenes Kalb in der Wüste Gobi, bis er vom Hausmeister gefunden wird. Da alle dichthalten, ist bisher nichts rausgekommen, und Dirk hält auch die Klappe. Sollte er auch nur einen Mucks sagen, dann gnade ihm Gott. Ab und zu binden sie ihm in der großen Pause eine Leine um und führen ihn durchs Schulgelände wie einen Hund. Auf der einen Seite tut er mir leid, auf der anderen Seite ist er wirklich eklig und noch dazu strohdoof und kein Stück sympathisch. Da kann er meine Folter auch noch mit übernehmen.
Morgen kommt Otto Waalkes! Vielleicht gefällt es ihm ja so gut, dass er länger bleibt als vorgesehen und auch noch unsere Klasse besucht. Einen Blick auf ihn aus der Nähe zu erhaschen sollte auf jeden Fall drin sein. Vielleicht bekomme ich sogar Gelegenheit, ihm die Hand zu schütteln. Wie es wohl wäre, wenn Deep Purple an unsere Schule kämen? Wahnsinn. Wenn ich ihre Musik höre, schließe ich die Augen und stelle mir vor, Ian Gillan und Ritchie Blackmore in einer Person zu sein. Ich stehe, nur mit Jeans und Unterhemd bekleidet, vor dem Gesangsmikro und spiele zusätzlich noch die Gitarrensoli.
Aber heute geht’s erst mal mit der ganzen Klasse zur Köhlbrandbrücke. Bevor die nämlich nächste Woche für den Autoverkehr freigegeben wird, darf sie drei Tage begangen werden. Bundeskanzler Schmidt und Bundespräsident Scheel sollen angeblich auch kommen. Kann ich mir zwar nicht vorstellen, aber man wird spätestens heute Abend in der Tagesschau Genaueres erfahren. Einerseits habe ich keinen Bock, andererseits ist das ja sozusagen schulfrei. Direkt vor mir geht Karsten Petermann, wie immer mit Kippe im Maul, Plateauschuhen und Veddelhose mit extrabreitem Gürtel. Er geht in die Zehnte und ist der abgefahrenste Typ der ganzen Schule, fast als Einzigster darf er sich die Haare wachsen lassen, so lang, wie er will, und nicht so wie wir mit unseren Pottschnitten. Seit neuestem trinkt er den Orangenfruchtsaft «Appelsin», und zwar mit Strohhalm! Niemand außer ihm würde auf die Idee kommen, irgendwas mit Strohhalm zu trinken, das ist ja nur was für Kinder. Und bei jedem anderen würde es auch voll behindert aussehen. Bei ihm aber nicht. Appelsin hat vorher auch keiner getrunken, ich wusste noch nicht einmal, dass es die Marke gibt. Ich hab sie mir sofort gekauft, weil ich dachte, die schmeckt vielleicht besser als Bluna oder andere Limonaden, stimmt aber nicht. Es ist wahrscheinlich so wie mit Navy Cut, die raucht man schließlich auch nicht, weil sie so gut schmecken, und die Chemieplörre schmeckt eben auch nicht. Schütt weg. Karsten bewegt sich extra langsam, wie eine Schnecke, aber ich weiß, dass er jeden Moment explodieren und jeden zusammenschlagen könnte, wenn er wollte, selbst Andreas Janischewski. Ich war mal Zeuge, wie er Hassan fertiggemacht hat. Hassan ist neunzehn und Türke, schon voll der Schrank und so lang wie breit. Beim Autoscooter hat er Karsten gerammt, da hatte der gar keinen Bock drauf. Er hat ihn insgesamt dreimal verwarnt, doch Hassan ist ihm immer wieder volles Rohr in die Seite gefahren. Als die Runde vorbei war, ist Karsten zu Hassan hin und hat sich, ohne ein Wort zu sagen, vor ihm aufgebaut. Im Verhältnis zu Hassan ist er voll der Hänfling. Die beiden haben sich angeschaut, und man konnte schon an den Blicken erkennen, wer den Kürzeren ziehen wird. Hassan hat nämlich Schiss gehabt, ich hab’s genau gesehen. Und dann, wie aus dem Nichts, hat Karsten abgezogen und Hassan mit derartiger Wucht in die Fresse gehauen, dass der sofort zu Boden gegangen ist. Anstatt zurückzuschlagen, hat Hassan nur eine abwehrende Armbewegung gemacht und ist regelrecht weggekrochen. Erst nach zwanzig Metern hat er sich getraut,
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