Junger, Sebastian
konnte. Einfach
so über jemanden herzufallen war riskant, denn jeder besaß eine Art
Schutzgemeinschaft, angefangen beim Platoon über die Squad bis schließlich zum
Team. Wenn ein Mann in deiner Squad von mehr als einem Kerl überfallen wurde,
dann war es Ehrensache, ihm zu Hilfe zu kommen, was zur Folge haben konnte,
dass sich bereits nach Sekunden zehn oder fünfzehn Kerle in einem Haufen auf
dem Boden wälzten.
Steiner,
O'Byrnes 203-Schütze, fing sich eine Stichwunde ein, als er mithelfen wollte,
Gruppenkeile an seinen Squad Leader Sergeant Mac auszuteilen, der sich mit
einem Kampfmesser in einer Ecke verschanzt hatte. Im 2 nd Platoon
bekam man Gruppenkeile am Geburtstag, Gruppenkeile, wenn man sich vom Platoon
verabschiedete - wie zum Beispiel in den Urlaub -, und Gruppenkeile, wenn man
zurückkam. Die einzige Chance, den 2 nd Platoon ohne Gruppenkeile zu
verlassen, bestand darin, sich eine Kugel einzufangen. Bei keinem anderen
Platoon ging es so zu; die Männer nannten es »blood in, blood out«, und zwar
nach einem Film, den einer von ihnen gesehen hatte. Offiziere waren nicht
ausgenommen. Ich habe mit angesehen, wie Gillespie niedergehalten und
verprügelt wurde, und Pops wurde so geschlagen, dass seine Beine noch tagelang
blaue Flecken hatten. Gewalt nahm die vielfältigsten Formen an und konnte so
gut wie jeden Moment ausbrechen. Nach einer besonders ruhigen Woche - mit
anderen Worten: keine Feuergefechte - wurde die Anspannung so unerträglich,
dass die l st Squad schließlich mit Steinwürfen auf die Weapons Squad
losging. Der Kampf artete so aus, dass ich hinter Bäumen Deckung suchte.
Nach
diesen brutalen Rangeleien, bei denen sie sich in Rage brachten und blutige
Nasen holten, war keiner der Männer etwa wütend. Die Kämpfe waren der
Langeweile entsprungen und nicht einem Konflikt - und daher wurde die Grenze
zur echten Gewalt nie überschritten. Offiziere blieben von den extrem heftigen
Keilereien verschont, und es gab sogar ein paar Unteroffiziere, die über die
richtige Mischung von Coolness und Distanz verfügten, um sich von den
Gewaltausbrüchen fernzuhalten. Sergeant Buno war einer von ihnen: Er führte
die 3 rd Squad, hatte aztekisch aussehende Tätowierungen auf den Armen
und einen tätowierten Skorpion, der vorn aus der Hose kroch. Buno sprach so gut
wie nie, hatte aber ein sympathisches, wenn auch emotionsloses Gesicht, in das
man hineinlesen konnte, was einem gefiel. Die Männer argwöhnten, er sei
Filipino, aber er enthielt sich jeden Kommentars. Für sich allein ging er
umher, lauschte seinem iPod und sprach seltsame und rätselhafte Sätze vor sich
hin. Die Männer gaben ihm den Spitznamen Queequeg. Er bewegte sich mit der
konzentrierten Präzision eines Tänzers oder Kampf Sportlers, und zwar in allen
Situationen, ob er nun im Feuergefecht steckte oder sich die Zähne putzte.
Einmal fragte ihn jemand, wo er in der vergangenen Nacht gewesen sei.
»Unten in
Babiyal«, gab er zur Antwort, »um Werwölfe zu töten.«
- 2 -
Eine Woche nach Vimotos Tod treffe ich im Korengal ein. Den
KOP fliege ich in einem knatternden Chinook an, der über den Abas Ghar hinweg
dröhnt und dann eilig auf einen Flecken zerstampften Felsgesteins hinabsinkt,
der als Landeplatz dient. Ich habe fünf Reisen ins Tal geplant, um ein Platoon
über die Gesamtzeit seines fünfzehnmonatigen Einsatzes zu begleiten. Ich bin
schon oft in Afghanistan gewesen - zum ersten Mal 1996, als die Taliban in
Kabul einfielen -, und dieses Land liegt mir ungeheuer am Herzen. Diesmal bin
ich jedoch nicht interessiert an den Afghanen und ihren endlosen furchtbaren
Kriegen. Nein, ich bin an den Amerikanern interessiert. Ich bin daran
interessiert, wie es ist, in einem Platoon der Combat Infantry in der U.S. Army
zu dienen. Die moralische Grundlage des Krieges scheint Soldaten nicht
sonderlich zu interessieren, und ob sich auf lange Sicht Erfolg oder Verlust
einstellen, hat fast keine Relevanz. Soldaten machen sich über diese Dinge
ungefähr so viele Gedanken, wie Landarbeiter sie über die Weltwirtschaft
verschwenden, was heißen soll, dass sie Dummheiten durchaus erkennen, wenn sie
direkt darauf gestoßen werden, allgemein aber anderen das Gesamtbild zur
Beurteilung überlassen.
Journalistische
Konvention geht davon aus, dass man nicht objektiv über Menschen schreiben
kann, denen man nahesteht, aber man kann auch nicht objektiv über Menschen
schreiben, von denen man beschossen wird. Reine Objektivität -
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