Junger, Sebastian
bereits
schwierig genug, wenn es über eine Sitzung des Stadtrats zu berichten gilt -
ist im Krieg nicht einmal ansatzweise möglich. Die Verbundenheit mit den
Männern, die um einen herum sind, ist noch das geringste Problem. Objektivität
und Ehrlichkeit sind jedoch nicht dasselbe,
und es ist uneingeschränkt möglich, ehrlich über die sehr persönlichen und
alles verzerrenden Kriegserlebnisse zu schreiben. Ich habe mit dem englischen
Fotografen Tim Hetherington zusammengearbeitet, der 2003 viele Kämpfe im
Bürgerkrieg in Liberia erlebt hatte, aber keine Erfahrung mit amerikanischen
Soldaten besaß. Zweifellos ging er davon aus, dass die Kampfhandlungen im
Korengal nicht zu vergleichen waren mit den Gewaltorgien und dem Chaos in
Westafrika. Ich war zwei Jahre zuvor für kurze Zeit bei der Battle Company in
der afghanischen Provinz Zabul »eingebettet« gewesen, aber wir hatten nur ein
einziges Mal Feindberührung gehabt, und das auch nur kurz. Afghanistan hatte
sich seither verändert, und Tim und ich waren völlig unvorbereitet, was das
Ausmaß an Gewalt betraf, die wir erleben sollten.
Nachdem
die Chinooks wieder abgehoben haben, schultere ich meinen Gepäcksack und steige
den Hang hinauf zur Befehlsstelle, um Captain Kearney zu treffen. Der
Zwei-Meter-Riese bewegt sich mit jener zweckdienlichen Entschlossenheit, die
ich mit Sportlern verbinde. Irgendeiner seiner Körperteile ist immer in
Bewegung - gewöhnlich ein Bein, das auf und ab wippt und den Boden der
Bretterbaracke vibrieren lässt. Seine dunklen Augen liegen verborgen unter
dichten Brauen, und er vermittelt den Eindruck, überhaupt in kein Zimmer zu
passen, geschweige denn hinter einen Schreibtisch. Ich frage ihn, wer am
weitesten ins Tal vorgestoßen ist, und er zögert nicht.
»Der 2 nd Platoon«, sagt er. »Die Speerspitze. Sie sind die Haupteinsatzkraft für die
Company, und die Company ist die Haupteinsatzkraft für das Battalion, und das
Battalion ist die Haupteinsatzkraft der Brigade. Ich hab sie nach da unten
gegen den Feind aufgestellt, weil ich weiß, dass sie rangehen und keine Angst
haben werden.«
Ich sage
Kearney, das seien die Leute, zu denen ich will.
Der 2 nd Platoon ist in der Firebase Phoenix stationiert, eine halbe Meile südlich
hinunter ins Tal. Eines heißen Sommerabends bringe ich also meine Ausrüstung
zum Landeplatz und schließe mich einem Switch-out an, der zu Fuß dort hinunter
will. Es ist ein halbstündiger Marsch auf einer unbefestigten Straße, die sich
eng an den Berg schmiegt. Die Basis ist nicht mehr als ein staubiges Stück
Steilhang, umgürtet mit Baumstämmen und Sandsäcken, eine der kleinsten und
empfindlichsten Kapillaren in einem Gefäßsystem, durch das der amerikanische
Einfluss in den Kreislauf der Welt gepumpt wird. Zwei Amerikaner haben bereits
bei ihrer Verteidigung ihr Leben gelassen. Raketen und Munition hängen an
Pflöcken in den Holzwänden, und die Männer schlafen auf Pritschen oder auf der
Erde, zusammen mit ihrem adoptierten afghanischen Hund. Dieser Hund geht als
Vorhut voran, sucht Deckung bei Feuergefechten und bellt los, sobald sich
draußen vorm Zaun irgendetwas rührt. Die Basis ist seit Tagen nicht mehr
angegriffen worden, aber der Nachrichtendienst meldet, dass es am nächsten
Morgen in aller Frühe geschehen wird. Ich lege mich in voller Montur und mit
Stiefeln an den Füßen zur Ruhe, und die letzten Worte, die ich höre, bevor ich
wegdöse, kommen von Staff Sergeant Rice: »Ich will das .50 cal ganz allein für
mich haben, wenn wir morgen angegriffen werden ...«
Noch
werden wir nicht angegriffen, aber lange soll es nicht mehr dauern. Die Männer
kommen in der Abenddämmerung aus Aliabad, und plötzlich ist ein unkoordiniertes
Klopfgeräusch in der Ferne zu hören, das von jemandem stammen könnte, der an
seinem Auto arbeitet. Das erste Leuchtspurgeschoss fliegt am Kopf des
Lieutenants vorbei, und er dreht sich wie beleidigt um. Dann pfeift uns der
Rest des Feuerstoßes so dicht um die Ohren, dass praktisch alle zu Boden gehen.
Der Lieutenant heißt Matt Piosa und ist der erste von dreien, die den 2 nd Platoon führen werden. Wir wussten, dass man uns angreifen würde - Prophet
hatte uns mit einem Anruf vorgewarnt -, aber der Schock bleibt, dass da draußen
tatsächlich jemand ist, der einem nach dem Leben trachtet. »Prophet« ist das
Rufzeichen für eine amerikanische Abhöroperation im Tal, die den Funkverkehr
des Feindes mithört und von Afghanen ins Englische übersetzen
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