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Junger, Sebastian

Junger, Sebastian

Titel: Junger, Sebastian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: War
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eigenen
Leute zu schonen. Die Männer besprechen, wie viel Wasser sie mitnehmen sollen
und was sie an Schlafutensilien benötigen werden und ob sie die kleinen
Sturm-Packs mitnehmen sollen oder die großen Rucksäcke. Nach einer Weile kommt
Gillespie und verkündet, dass der Platz in den Vögeln begrenzt ist und Solowski
nicht mitfliegt - ich hingegen bin dabei. Solowski ist zwar nicht wirklich für mich
ausgesondert worden, aber es bleibt dabei und bedeutet, dass unser MG-Team
nicht nur um einen Mann kleiner sein wird, sondern auch, dass die anderen umso
mehr Munition tragen müssen. Später finde ich Gillespie und biete ihm an,
fünfhundert Schuss Munition zu tragen.
    »Lassen
Sie mich mit dem GunTeam reden«, sagt er. »Es könnte vielleicht nötig sein.«
    Der
Sanitäter gibt mir eine Extraportion Rehydrationssalz und ein Spritzbesteck für
den Fall, dass ich getroffen werde. Ein Tourniquet habe ich bereits und einen
Israeli-Verband in meiner Weste sowie eine Packung Kerlix. Das Herz schlägt mir
bis zum Hals. Es gibt Zeiten, da kommt mir das alles hier - die Helikopter und
die Waffen und die Afghanen und die steilen wunderschönen Berge - so vor wie
ein ehrfurchtgebietendes und dramatisches Spiel. Und dann gibt es wieder Momente,
in denen man plötzlich versteht, wie real es ist: Keine Chance zu
kontrollieren, was als Nächstes geschieht, keine Möglichkeit, etwas ungeschehen
zu machen, wenn alles danebengeht. Einigen Berichten zufolge befinden sich im
Tal vier SA-IS-Raketen, die mit ihrem thermischen Suchkopf Hitzesignale verfolgen
und Flugzeuge vom Himmel holen. Wir könnten also vom KOP abheben und Minuten
später schon alle tot sein. Ich muss nicht an dieser Mission teilnehmen. Ich
brauchte mich nicht einmal in diesem Tal aufzuhalten. Im Augenblick habe ich
alles - mein Leben, meine Sicherheit, meine Freunde und meine Familie daheim
-, und vielleicht ist mir ein Augenblick des Bedauerns vergönnt, bevor mir all
das genommen wird. Ein Wahnsinnsaugenblick im abstürzenden Chinook, ein Augenblick,
in dem der Erdboden rascher auf mich zu rast, als ich ihm ausweichen kann. »Ein
unwahrscheinlich schneller Aufstieg des Menschen Hals über Kopf in die
Ewigkeit«, wie Melville es genannt hat; die letzte unfassbare Übergangsphase
vom Menschsein ins Nichts.
    Ich bin
mit dem Packen fertig. Der Stress wirkt sich auf alle aus, und man spürt
deutlich die sonderbare Atmosphäre. Die Männer schleichen im KOP umher,
bedacht, Bobby und Jones aus dem Weg zu gehen, oder sie liegen träge in ihren
Kojen wie in einem Leichenschauhaus für Ohnmächtige. Ich sehe, wie ein Mann
seine 9-Millimeter zieht und sie einem anderen an die Stirn hält. Direkt
zwischen die Augen, aber sie ist gesichert. Ich bin versucht, mich mit der
Vorstellung zu beruhigen, dass alles in Gottes Hand liegt, aber ich bin es
doch, der schließlich entscheidet, ob er in den Hubschrauber steigt - nicht
Gott -, und daher lässt sich nur schwer sagen, was Er damit zu tun haben soll.
Den anderen Männern bleibt keine Wahl, und das erspart ihnen diese ganz
spezielle Qual, wenngleich sie natürlich andere Qualen zu ertragen haben. Wie
auch immer, in achtundvierzig Stunden wird alles geregelt sein - überstanden,
kein Grund mehr zur Besorgnis. Besser kann man sich, will man nicht auf
irgendeine Art von religiösem Trost zurückgreifen, nicht beruhigen. Gott ließ
Restrepo sterben und Rougle sterben und noch vierzig weitere Männer in diesem
Tal - abgesehen von Dutzenden Zivilisten -, und daher ist Er als Quell des
Trostes nicht verlockend. Vielleicht hatte O'Byrne ja recht: Gebete werden
nicht erhört, weil Gott überhaupt nicht in diesem Tal ist.
    Im
gesamten Battalion machen sich Einheiten für die Übergabe bereit und
versuchen, genügend Freiraum zu schaffen, damit die neuen Männer nicht sofort
getötet werden, wenn sie dort ankommen. Der größte Einsatz findet ungefähr zehn
Meilen nördlich im Waygal-Tal statt, wo die Chosen Company gleichzeitig den
Vorposten Bella verlassen und einen neuen in der Stadt Wanat errichten wird.
Bella war die Schwesterbasis von Ranch House, dem Posten, der im
vorangegangenen August beinahe überrannt worden wäre. Nachdem die Amerikaner
Ranch House aufgegeben hatten, war es nur noch eine Frage der Zeit, bis auch
Bella geräumt wurde. Es gab keine befahrbare Straße hinauf zu Bella, und daher
musste alles durch die Luft herangeschafft werden, und die Berge waren so hoch
und steil, dass die Chinooks sogar Schwierigkeiten hatten,

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