Junger, Sebastian
können.
Individuen der meisten Spezies verteidigen genetisch sinnvoller Weise ihren
Nachwuchs und einige wenige, zum Beispiel Wölfe, auch ihre Rudelgenossen. Aber
Menschen sind wohl die einzigen Tiere, die etwas praktizieren, das man für
»selbstmörderische Verteidigung« halten könnte: Ein männliches Individuum eilt
zur Verteidigung eines anderen Männchens, obwohl es für beide wahrscheinlich
den Tod bedeutet. Die DNS von Schimpansen deckt sich zu fast neunundneunzig
Prozent mit der von Menschen, und Schimpansen sind die einzigen bisher
beobachteten Angehörigen einer Primatenspezies, die Überfälle auf ein
benachbartes Territorium durchführt und einzelne männliche Tiere tötet, der
sie begegnet. Überfall auf Überfall, Totschlag auf Totschlag löschen sie die
männliche Population einer rivalisierenden Horde aus und übernehmen deren
Weibchen und deren Territorium. Wenn diese Überfälle stattfinden, fliehen die
anderen Männchen im Revier, anstatt ihrem Kameraden zu Hilfe zu kommen. Forscher
haben noch nie beobachten können, dass ein Schimpanse kehrtmacht, um einem
anderen Männchen zu helfen, das von Eindringlingen erschlagen wird.
Daran
gemessen könnte man Mut als einzigartig menschliche Charaktereigenschaft
begreifen. Mut würde im Sinne der Evolution noch mehr Sinn ergeben, wenn er mit
sozialer Belohnung ausgezeichnet würde, wie zum Beispiel dem Zugang zu
Ressourcen oder Weibchen. Der Ruhm, mit dem die Helden in fast allen
Gesellschaften überschüttet werden, könnte erklären, warum junge Männer so
darauf erpicht sind, sich in den Krieg schicken zu lassen - oder tapfer zu kämpfen,
wenn sie denn geschickt worden sind. Dass wäre jedoch nur für eine Spezies
möglich, die der Sprache mächtig ist: Tapfere Taten können einem Schimpansen
ebenso wenig vom Schlachtfeld nach Hause folgen wie Akte der Feigheit. Ohne
Sprache wird Mut zu selbstmörderischer Narretei. Aber sobald unsere Vorfahren
der ewigen Gegenwart entronnen waren, indem sie zu sprechen lernten, konnten
sie Geschichten wiederholen, in denen Individuen für ihre Handlungen
verantwortlich gemacht - oder ihretwegen belohnt wurden. Daraus ergab sich der
starke Anreiz, sich nicht wegzudrehen und zu fliehen, während andere den Feind
abwehrten. Lieber kämpfen und sterben als zu Hause in Ungnade fallen und
geächtet werden.
Genetisches
Material von zeitgenössischen Jägern und Sammlern lässt darauf schließen, dass
die Menschen während einer großen Spanne der Vorgeschichte in Gruppen von
dreißig bis fünfzig Personen lebten, die lose miteinander verwandt waren. Sie
heirateten in andere Gruppen, die dieselbe Sprache hatten und dasselbe Territorium
teilten. Wenn man zu jener Zeit als junger Mann beim Verteidigen seiner Gruppe
das Leben ließ, war das im genetischen Sinn durchaus begrüßenswert, denn
selbst wenn man keine eigenen Kinder hatte, besaßen doch die Verwandten welche,
und Neffen und Nichten reichten die Gene an zukünftige Generationen weiter.
Unsere evolutionäre Vergangenheit war nicht friedlich:
Archäologische Funde deuten darauf hin, dass in der Frühzeit bis zu fünfzehn
Prozent der Menschen in Kämpfen mit rivalisierenden Stämmen starben. (Zum
Vergleich: Das Gemetzel des 20. Jahrhunderts produzierte weniger als zwei
Prozent zivile Opfer.) Wegen unserer gewalttätigen Vergangenheit hat uns die
Evolution vielleicht zu der Annahme programmiert, wir seien mit jedem in
unserer unmittelbaren Gruppe verwandt - selbst in einem Platoon - und es sei
eine gute genetische Strategie, das eigene Leben zu opfern, um diese Gruppe zu
verteidigen. Gruppen, die nicht so organisiert waren, hatten es wahrscheinlich
schwer, mit Gruppen zu konkurrieren, die es waren, und daher kann sich eine
Neigung zur Tapferkeit und Selbstaufopferung durch die menschliche Kultur
verbreitet haben. Ich habe Cortez einmal gefragt, ob er sein Leben für andere
Männer im Platoon opfern würde.
»Ich würde
mich für sie auf die Handgranate werfen«, sagte er. Ich fragte ihn, warum.
»Weil ich
meine Brüder liebe«, sagte er. »Ich meine, es ist eine Brüderschaft. In der
Lage zu sein, ihr Leben zu retten, damit sie leben können, das ist, denke ich,
eine dankbare Sache. Jeder von ihnen würde dasselbe für mich tun.«
-5-
Früh am Morgen, die Männer schlafen wie müde
große Hunde in jeder erdenklichen Stellung und auf alle erdenkliche Weise
angezogen, von Turnhosen bis zum kompletten Tarnanzug mit Stiefeln. Manche
liegen noch da, wo sie
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