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Junger, Sebastian

Junger, Sebastian

Titel: Junger, Sebastian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: War
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Rock sollte sein, die wichtigsten Korridore
zu besetzen und zu versuchen, den Zustrom zu stoppen. Viele Zabul-Veteranen
erwarteten, dasselbe offene Terrain vorzufinden, das sie im Süden kennengelernt
hatten - Terrain, auf dem die Schlagkraft der Luftwaffe wirksam und der
Einsatz von Panzern möglich war -, aber stattdessen sahen sie Berggipfel und
messerscharfe Gebirgskämme an den Fenstern ihres Chinook vorbeiziehen. Sogar
die Privates ahnten auf Anhieb Böses.
    The Rock
erbte - verstreut in den Tälern Pech,Waygal, Shuryak, Chowkay und Korengal -
eine Kette von Basen und Vorposten, die von ihren Vorgängern, den Marines und
der 10th Mountain Division, errichtet worden waren. Dieser Landstrich zählt zu
den schönsten und unwegsamsten Gegenden Afghanistans und hat jahrhundertelang
als ein Zentrum des Widerstands gegen Invasoren gedient. Alexanders Armeen
gerieten im nahegelegenen Nuristan ins Stocken und blieben so lange dort, dass
die blonden und rothaarigen Einheimischen als Nachfahren seiner Männer
angesehen werden. Die Sowjetarmee verlor ganze Kompanien - zweihundert Mann
auf einen Schlag - in Hinterhalten entlang des Kunar. (»Sie schickten zwei
Divisionen hier rein und zogen mit einem Battalion durch das Pech-Tal wieder
ab«, sagte mir der Commander von The Rock, als ich dort ankam. »Zumindest
erzählen sich das die Einheimischen.«) Die Amerikaner trafen in diesem Gebiet
erst 2003 ein und zeigten die nächsten zwei, drei Jahre keine nennenswerte
Präsenz. Es gab Gerüchte, dass der 11. September zumindest teilweise im
Korengal-Tal geplant worden war und dass Osama bin Laden und Aiman al-Zawahiri
auf ihrem Weg nach und aus Pakistan regelmäßig dieses Gebiet durchquerten.
    Das
Hauptquartier des Battalions befand sich im Camp Blessing am oberen Pech, und
dort standen zwei Haubitzen, die ihre 155-Millimeter-Geschosse zehn Meilen weit
bis ins südliche Korengal katapultieren konnten. Zwei weitere Haubitzen im
Special Forces Camp in Asadabad deckten so gut wie alles andere ab. Das
Hauptquartier der Brigade befand sich fünfzig Meilen westlich am
Luftwaffenstützpunkt Dschalalabad, und der gesamte amerikanische
Militäreinsatz wurde vom Luftwaffenstützpunkt Bagram Airfield, dreißig Meilen
nördlich von Kabul, koordiniert. Bagram gilt als eine Forward Operating Base
oder auch FOB, und die Frontsoldaten an Orten wie dem Korengal bezeichnen die
Soldaten auf einem FOB als Fobbits. Soldaten auf solchen Stützpunkten
vermochten tatsächlich ihre Einsatzzeit hinter sich zu bringen, ohne je das
Basisgelände verlassen, geschweige denn mit ihren Gewehren geschossen zu
haben. Und die Frontsoldaten blicken mit derselben Verachtung auf sie hinab
wie auf die Angehörigen des Pressekorps. Die Grunts, die an der Front
eingesetzt werden, behaupten, dass sie ständig von Fobbit-Offizieren
angepfiffen werden, weil sie dreckig und unrasiert von der Landebahn kommen und
in zerrissenen Uniformen über den Stützpunkt laufen (»Wir sehen eben aus wie
Frontsoldaten«, wie ein Mann kommentierte. »Wir sehen aus wie Typen, die gerade
aus der Scheiße kommen.«) Nur auf den Basen im Hinterland werden kriegerische
Töne von Patriotismus und Religion angeschlagen, und nur auf diesen
Hinterlandbasen muss man als Journalist gefasst sein, wegen seines Berufs hart
attackiert zu werden. In Bagram wurde ich einmal von einer Soldatin der 82 nd Airborne zusammengestaucht, die außer sich geriet, weil mein Hemd den Presseausweis
verdeckte. Ich hatte gerade zwei Wochen im Korengal hinter mir. Also zuckte ich
nur die Achseln und ging weiter.
    Beim
US-Militär neigt man dazu, Probleme in Häppchen zu zerteilen und dann jedes
Häppchen einzeln anzugehen. Kriege werden auf physischem Terrain ausgetragen -
in Wüsten, im Gebirge und so weiter -, gleichermaßen aber auch auf dem, was als
»menschliches Terrain« bezeichnet wird. Menschliches Terrain beinhaltet im
Wesentlichen die sozialen Aspekte des Krieges in all seinen chaotischen und
widersprüchlichen Erscheinungsformen. Die Fähigkeit, auf diesem menschlichen
Terrain zu navigieren, verschafft bessere Informationen, genauere
Zielkoordinaten für Bombenabwürfe und Zugang zu allem, was letztlich für
Werbekampagnen um die Loyalität der Bevölkerung nutzbar gemacht werden könnte.
So brannten die Taliban zum Beispiel im Korengal eine Schule nieder und verbrannten
dabei aus Versehen einen ganzen Karton voller Koran-Bände. Die Dorfbewohner
waren empört, und die Taliban verloren auf menschlichem

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