Junger, Sebastian
Terrain eine kleine
Schlacht.
Man kann
auf menschlichem Terrain eine »Bergkuppe« erobern wie auf realem Terrain - zum
Beispiel Einheimische als Arbeitskräfte einstellen -, und die Position auf der
Kuppe schützt vielleicht vor bestimmten Angriffen, macht aber gleichzeitig
verwundbar für andere. Menschliches Terrain und physisches Terrain
interagieren auf so komplexe Weise, dass die Commander die Konsequenzen ihrer
Handlungen allerhöchstem auf extrem kurze Sicht einschätzen können. Das physische
Terrain ist zu kontrollieren, indem man in einem Dorf einen Vorposten
einrichtet, aber wenn die Anwesenheit fremder Männer zur Folge hat, dass die
einheimischen Frauen morgens nicht mehr auf bestimmten Pfaden zu ihren Feldern
gehen können, hat man auf menschlichem Terrain eine kleine Schlacht verloren.
Manchmal ist es das wert, manchmal nicht. Versehentlich Zivilisten zu töten ist
ein sicherer Weg, auch das menschliche Terrain zu verlieren - das gilt für
beide Seiten -, und wenn das zu oft geschieht, werden dich die Einheimischen
vertreiben, egal wie viele Bergkuppen du besetzt hältst. Es wird unterstellt,
dass eine Strategie der Taliban darauf zielt, die Streitkräfte der Nato dazu zu
bringen, unbeabsichtigt so viele Zivilisten zu töten, dass sie den Kampf um das
menschliche Terrain verlieren. Das physische Terrain würde unweigerlich
folgen.
Das
US-Militär stellt das menschliche Terrain mithilfe genealogischer Daten,
Flussdiagramme ökonomischer Aktivitäten und Karten zu Stammes- oder
Clanangehörigkeit dar. Diese Informationen werden mit extrem detaillierten
Karten des physischen Terrains zur Deckung gebracht, um einen Plan zu
entwickeln, wie beide zu erobern sind. Karten des physischen Terrains werden
nach Satellitendaten erstellt und weisen die Vegetation aus, Bevölkerungszentren
und die Topografie. Über dem Kartenbild liegt ein Ein-Kilometer-Gitternetz, und
das Militär misst die Erfolge seines Vormarsches auf dem physischen Terrain
daran, welche Gitterlinie erreicht worden ist. Das Korengal-Tal ist zehn
Kilometer lang und zehn Kilometer breit - ungefähr halb so groß wie Staten
Island -, und die militärische Kontrolle endet bei Kilometer 62. Die Six-Two
Gridline, wie sie heißt, teilt das Tal bei Aliabad in zwei Hälften. Nördlich
der Linie ist man mehr oder weniger sicher, südlich davon wird man fast
garantiert beschossen. Es ist, als hätte der Feind gedacht, die Amerikaner
würden sich auf eine De-facto-Aufteilung des Tals einlassen und den Süden
meiden, wenn er sich selbst aus der nördlichen Hälfte heraushielt. Taten die
Amerikaner aber nicht.
Die andere
wichtige Trennungslinie teilt das Tal der Länge nach, wobei der Feind mehr oder
weniger die östliche Seite kontrolliert und die Amerikaner die westliche. Mit
anderen Worten: Die Amerikaner kontrollieren ungefähr ein Viertel des Korengal.
Die Six-Two kreuzt das Tal und klettert in östlicher Richtung den Abas Ghar
hinauf, aber wenn man ihr dorthin mit weniger als zwei Platoons und
verlässlicher Unterstützung aus der Luft folgt, riskiert man, in Fetzen
geschossen zu werden. Die vom Militär so genannten ratlines -
Fußpfade, die der Feind nutzt, um Männer und Nachschub zu schleusen - verlaufen
östlich vom Abas Ghar durch das Shuryak-Tal zum Kunar und danach über die
Grenze nach Pakistan. Weitere dieser ratlines führen
südlich in das Chowkay und nördlich durch das Pech. Im Korengal existiert ein
hohes Maß an Übereinstimmung zwischen der amerikanischen Kontrolle über das
menschliche Terrain und derjenigen über das physische. Es ist schwierig, das
eine ohne das andere zu kontrollieren. Wenn die Amerikaner Zugang zu einem
örtlichen Gemeinwesen finden und Entwicklungsprojekte anregen, zeigen sich die
Einheimischen durchaus geneigt und wenden sich von den Aufständischen ab. Der
Zugang zu einem Dorf erfordert jedoch große militärische Präsenz, und die
wiederum bietet ein perfektes Ziel für aufständische Schützen in den Bergen. Unabhängig
davon, wer zuerst geschossen hat, legen die Einheimischen jedes Feuergefecht,
das aus einer solchen Situation resultiert, unweigerlich den Amerikanern zur
Last.
Um die
Zeit, alsVimoto ums Leben kam, schossen Soldaten des 3 rd Platoon am
Nordende des Tals auf einen Lastwagen voller junger Männer, der bei einem
Kontrollpunkt nicht angehalten hatte. Mehrere Männer wurden getötet. Die
Soldaten sagten aus, dass sie dachten, sie hätten Angreifer vor sich. Die
Überlebenden sagten, sie seien
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