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Junger, Sebastian

Junger, Sebastian

Titel: Junger, Sebastian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: War
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mutige oder feige Aktionen
mehr oder weniger spontan ablaufen. Es ist möglich, dass Soldaten ihr Leben
lang eine Entscheidung bereuen, obwohl sie sich nicht einmal daran erinnern,
sie getroffen zu haben; ja, eventuell bekommen sie einen Orden für eine
Handlung, die vorüber war, bevor sie überhaupt gemerkt hatten, dass sie etwas
taten. Als Audie Murphy mit der Congressional Medal of Honor ausgezeichnet
wurde, fragte man ihn, warum er es allein mit einer ganzen Kompanie deutscher
Infanterie aufgenommen hatte. Seine berühmte Antwort lautete: »Weil sie meine
Freunde töteten.« Kriege werden gewonnen oder verloren wegen der kumulierten
Wirkung tausender Entscheidungen solcher Art, die während Feuergefechten
gefällt werden, die oft nur Minuten oder Sekunden dauern. Giunta vermutet, dass
nicht mehr als zehn oder fünfzehn Sekunden zwischen dem ursprünglichen Angriff
und seinem Gegenangriff vergingen. Ein nicht ausgebildeter Zivilist hätte diese
zehn oder fünfzehn Sekunden als verstörendes Licht- und Lärmgewitter erlebt und
wahrscheinlich die meiste Zeit zusammengekauert auf dem Boden verbracht. Ein
ganzes Platoon von Männern, die so reagieren, wäre zweifellos verloren.
    Giunta
andererseits nutzte diese fünfzehn Sekunden, um seinem Team Schussfrequenz und
Zielsektor anzuzeigen, zu Gallardo zu laufen, um ihn zu unterstützen, die
Richtung des Geschosses einzuschätzen, das ihn in die Brust getroffen hatte,
und dann drei Handgranaten zu werfen, während er eine feindliche Position
angriff. Jeder Mann des Platoons - sogar die Verwundeten - handelte so
zweckdienlich und effektiv wie Giunta. Aus naheliegenden Gründen versucht die
Army, unbedingt herauszufinden, warum manche Männer im bewaffneten Kampf
effektiv reagieren und andere einfach nur erstarren. »Ich habe getan, was ich
tat, weil ich dazu ausgebildet worden bin«, sagte Giunta mir. »Es gab eine
Aufgabe, die zu lösen war, und mein Part bestand darin, die Alpha und Bravo
Teams miteinander zu verbinden. Ich bin nicht durchs Gewehrfeuer gerannt, um
einen Kumpel zu retten - ich bin hindurchgerannt, um nachzusehen, was mit ihm
war, und ob wir nicht vielleicht gemeinsam hinter einen Felsen in Deckung gehen
und schießen könnten. Ich bin nicht durchs Feuer gerannt, um etwas Heroisches
oder Mutiges zu tun. Ich hab getan, was meiner Meinung nach jeder getan
hätte.«
    Während
des Zweiten Weltkriegs führten das britische und amerikanische Militär Studien
durch, um festzustellen, was Menschen dazu befähigt, ihre Furcht zu besiegen.
Der Psychiater Herbert Spiegel, der amerikanische Truppen beim Tunesienfeldzug
begleitete, nannte es den X-Faktor. »Ob dieser Faktor bewusst war oder
unbewusst, bleibt fraglich«, schrieb er 1944 in einem Militärjournal, »aber das
ist auch nicht so wichtig. Der wichtige Aspekt besteht darin, dass der Faktor
in hohem Maße von der Loyalität gegenüber einer Gruppe oder Einheit
beeinflusst wird, von der Wertschätzung des Anführers dieser Gruppe und dem
Engagement für ihre gemeinsame Sache. Beim Durchschnittssoldaten, also bei den
meisten von ihnen, war es dieser Faktor ... der es den Männern ermöglichte,
ihre Angst unter Kontrolle zu bekommen und ihre Erschöpfung in einem Maße
niederzukämpfen, das sie nie für möglich gehalten hätten.«
    Das
US-Militär fand heraus, dass Furchtsamkeit in hohem Maße eine Eigenschaft war,
an der es nicht viel ändern konnte. Ein furchtsamer Mann wird wahrscheinlich
unabhängig von der Ausbildung, der er sich unterzieht, auch furchtsam bleiben.
Bei einem Experiment wurde unausgebildeten Fallschirmjägeranwärtern befohlen,
von einem zehn Meter hohen Turm zu springen. Bei ihrem Sprung trugen sie ein
Gurtzeug, sodass sie erst ungefähr vier Meter frei fielen und anschließend an
einem hundert Meter langen Kabel sicher zu Boden glitten. Obwohl es doch so
leicht klingt, erklärte mehr als die Hälfte einer Gruppe qualifizierter
Fallschirmspringer, beim Sprung vom Turm mehr Angst zu haben als beim Sprung
aus einem Flugzeug. Das Militär testete ungefähr dreizehnhundert Kandidaten
auf dem Turm und verfolgte dann ihr Abschneiden an der Airborne School. Es
stellte sich heraus, dass man bei Männern, die beim Sprung vom Turm »langsam«
gewesen waren, mehr als doppelt so häufig mit dem Versagen beim Ausbildungsprogramm
rechnen musste als bei den »schnellen« Springern. Und bei denjenigen, die den
Sprung verweigerten, war fast garantiert davon auszugehen, dass

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