Junger, Sebastian
hören. Nur sehr wenige Menschen
wollen es sich eingestehen. Krieg muss als schlecht gelten, denn im Krieg
geschehen zweifellos schlechte Dinge, aber ein Neunzehnjähriger am Abzug eines
.50 cal-Maschinengewehrs während eines Feuergefechts, das alle heil überstehen,
erlebt den Krieg als einen so extremen Nervenkitzel, wie ihn sich niemand
vorstellen kann. In mancher Hinsicht verschaffen zwanzig Minuten Kampfgeschehen
mehr Lebensintensität, als man sie während eines Daseins zusammenkratzen kann,
das mit anderem beschäftigt ist. Der Kampf ist nicht der Ort, an dem man stirbt
- obwohl auch das geschieht -, sondern der Ort, an dem man herausfindet, ob es
einem gegeben ist, weiterzuleben. Die Kraft dieser Offenbarung möge niemand
unterschätzen. Und niemand unterschätze das, was junge Männer einsetzen, um
das Spiel noch einmal mehr zu spielen.
Die
psychischen Grunderfahrungen von Krieg sind jedoch so primitiv und so
unverfälscht, dass sie subtilere Gefühle wie Kummer oder Reue, die jahrelang an
einem Menschen nagen können, in den Schatten stellen. In Paris erblickte ich
einmal zwei Männer, die eine Matratze über die Straße trugen, und geriet
augenblicklich in reine Panik: weit aufgerissene Augen, Herzrasen, meine Hände,
die sich an den Stuhl klammerten. Ich war gerade aus Liberia gekommen, wo ich
mit angesehen hatte, wie viele tote und verwundete Menschen auf diese Weise
transportiert wurden, und zu der Zeit fehlte mir noch jede Schutzreaktion. Ich
war von der mich überall umgebenden Gewalt zu sehr in Angst und Schrecken
versetzt worden und obendrein zu aufgeputscht von der Bedeutung der Story, an
der ich arbeitete, als dass ich anderen Dingen meine Aufmerksamkeit schenken
konnte. Dann löste eine durchhängende Matratze in Paris einen dreiwöchigen
Nachholbedarf an Trauma und Scham aus.
Spätnachmittags
kommen wir am KOP an. Unser zerstörter Humvee ist an den vor uns gekettet und
wird durch den Morast gezogen wie ein widerspenstiger Esel. Der Posten hat
sich verändert, seit ich das letzte Mal hier war: Die Männer sind sauberer und
haben nicht mehr diesen irren Blick. Außerdem müssen sie wohl nicht mehr
unentwegt ihren Schutzpanzer tragen. Es ist eigenartig, sie durch die Gegend
schlendern zu sehen, als seien sie sonst wo auf der Welt und in den Bergen
tummelten sich keine feindlichen Kämpfer, die ihnen allen nach dem Leben
trachteten. Für das Command Center ist eine neue Behausung gebaut worden, und
es gibt Duschvorhänge an den Klotüren. Und es stehen sieben oder acht neue
Laptops mit High-Speed-Satellitenverbindung zum Internet zur Verfügung. Ich
werde angewiesen, in einem der neuen Gebäude zu schlafen. Also trage ich meine
Sachen hinauf und lasse sie auf eine leere Pritsche fallen. Es ist nur noch ein
Mann im Raum: Loza, Soldat des 3 rd Platoon, der drei Monate lang in
Italien gewesen ist, um eine Schulterwunde zu kurieren. Er sitzt auf einer
Pritsche, hört Musik aus seinem Laptop und bringt seine Ausrüstung auf
Vordermann. Er bindet sein Nachtsichtgerät mit grüner Fallschirmleine an den
Helm, befestigt eine Nylonschlaufe an seinem Gewehr und probiert seine neuen
Stiefel an. Anschließend stellt er sie gegen eine Zementwand, die Absätze
akkurat aneinander.
Loza war
am zweiten Tag in Restrepo angeschossen worden, und seine Rückkehr in den KOP
hatte zu leichten Kontroversen geführt, denn er kann seinen Arm immer noch
nicht höher heben als bis zur Schulter. Er wollte zurückkommen, um bei seinen
Freunden zu sein, und irgendein Schreibtischhengst hat ihm den Gefallen getan.
Er zieht eine Röntgenaufnahme aus seinem Backpack und zeigt sie mir. Zuerst
verstehe ich gar nicht, was ich da sehe. Sie sieht aus wie das Schwarzweißfoto
einer Hängebrücke im Nebel, bis mir klar wird, dass die Spanndrähte und
Trossen Metallteile sind, die man in seine Knochen geschraubt hat. Ich frage
ihn, ob es weh tut, wenn man angeschossen wird.
»Nein«,
sagte er. »Ich dachte, mir hat jemand eine gelangt.«
Ich bin
schon den ganzen Tag, seit die Bombe detoniert ist, Spielball einer extremen
emotionalen Wechselspannung, werde auf hohe Wellenkämme geschleudert, dass ich
nicht mehr still sitzen kann, und in Täler gedrückt, in denen ich am liebsten
den nächsten Nachschubkonvoi nehmen würde, der mich hier wegbringt. Nicht weil
ich mich fürchtete, sondern weil ich inzwischen gewohnt bin, dass der Krieg
aufregend ist. Und plötzlich ist er es nicht mehr. Plötzlich kommt er mir fade
vor und traurig, ein
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