Junger, Sebastian
vorbeifahren.
»Die Sache
beim Militär ist, dass jede Einheit sich für die coolste hält«, sagt Thyng, als
wir vorüberdröhnen. Wir alle tragen Kopfhörer, damit wir einander trotz des
Motorenlärms verstehen und auch mit den anderen Lastern kommunizieren können.
»Ich meine, die BSB-Jungs (Brigade Support Battalion) finden, sie sind cool,
aber das sind sie ganz offensichtlich nicht. Und dass sie es nicht einmal
wissen, das ist das Tragischste an der Sache.«
Der alte
Mann ist bereits ein gutes Stück hinter uns, und wir nähern uns einem Polizeikontrollpunkt,
der bei früheren Angriffen der Taliban in Stücke zerschossen worden ist. Auf
dem Fluss dahinter paddeln zwei Männer auf einem improvisierten
Autoschlauch-Floß heftig gegen die Strömung in Richtung unseres Ufers. Thyng
greift zu einem Fernglas und betrachtet sie im Vorbeifahren.
»Aber in
tiefstem Herzen wissen sie es doch«, fügt er nach einer Weile hinzu.
Wir
erreichen den Korengal am Morgen des folgenden Tages. Wir hatten die Nacht in
Blessing verbracht und dabei den apokalyptischen Lärm der 155-mm-Haubitzen
ertragen müssen, die mit neuer Munition eingeschossen wurden. Kurz nach
Morgengrauen waren wir aufgebrochen, damit der Konvoi es vor Einbruch der
Dunkelheit aus dem Tal schaffen konnte. »Ich schätze, heute werden wir
angegriffen«, sagt der Fahrer meines Humvees, bevor er auf seinen Sitz
klettert. Wir rumpeln durch Nagalam, überqueren den Pech auf einer schmalen
Brücke und erreichen den Eingang des Korengal. Die Straße ist entsetzlich
schmal, und wenn man aus dem Fenster sieht, hat man die Sohle des Canyons in
gut hundert Metern Tiefe vor Augen. Da ist es leichter, immer geradeaus zu
blicken und an etwas anderes zu denken. Nach einer halben Stunde deutet Thyng
auf einen Bergkamm vor uns und sagt, sobald wir den hinter uns hätten, dürfte
es interessant werden.
»Okay,
bleib jetzt dran«, sagt Thyng dem Schützen, als wir hinter dem Kamm in eine
Schlucht rollen. Bäche stürzen aus den Spalten der Felswände, und wo die Straße
an diesen Stellen entlangführt, ist der Erbboden feucht und lässt sich leicht
aufgraben. Manche Talenge ist zu tief, um sie von den amerikanischen Vorposten
einzusehen. Daher sind sie wie geschaffen für einen Hinterhalt. »Sobald wir in
die Schlucht kommen, musst du nach oben sichern, okay?« Thyng informiert den
Schützen noch weiter. »Als Erstes werden verdammte RPGs auf unsere Scheißkarre
gefeuert, okay?«
»Roger«,
sagt der Schütze.
»Wenn das
geschieht, werden sie uns verfehlen, also stell nur fest, woher sie gekommen
sind, und mach sie fertig, alles klar?«
»Roger.«
Ich konzentriere
mich darauf, meine Kamera zu bedienen. So kann ich am besten vermeiden, über
die Tatsache nachzudenken, dass mich umbringen könnte, was ich zu filmen vorhabe.
»Also gut,
du bleibst da drinnen«, sagt Captain Thyng zu dem Schützen. »Wir werden gleich
da um die Kurve fahren -« Und weiter kommt er nicht.
Die
Vorstellung, dass es Regeln für die Kriegsführung gebe und dass die
Kombattanten einander gemäß grundsätzlicher Prinzipien der Fairness töteten,
verlor ihre Geltung wahrscheinlich ein für allemal mit dem Einsatz des
Maschinengewehrs. Ein Mann mit einem Maschinengewehr kann möglicherweise ein
ganzes Battalion aufhalten, zumindest für eine Weile, und dadurch verliert die
persönliche Tapferkeit im Kampf Mann gegen Mann ihre Bedeutung. Im Ersten
Weltkrieg, als automatische Waffen verbreitet zum Einsatz kamen, wurden die
Schützen schwerer Maschinengewehre, wenn ihre Stellung überrannt worden war,
routinemäßig exekutiert, weil sie für eine so große Anzahl von Toten
verantwortlich waren. (Reguläre Infanteristen, die man als »faire Kämpfer«
ansah, wurden oft verschont.) Maschinengewehre zwangen die Infanterie, sich zu
verteilen, zu tarnen und in kleinen unabhängigen Einheiten zu kämpfen. Seitdem
galt Deckung mehr als Haltung und Loyalität zur Einheit mehr als blinder
Gehorsam im Allgemeinen.
In einem
Krieg dieser Art wenden sich die Soldaten dem zu, was am besten funktioniert
und gleichzeitig das geringste Risiko birgt. Hier hört der bewaffnete Kampf
auf, nur ein großes Schachspiel zwischen Generälen zu sein, und wird eine kompromisslose
Übung in reinem Töten. Daraus folgt, dass ein Großteil moderner Militärtaktik
darauf abzielt, den Feind in eine Position zu manövrieren, in der er aus
sicherer Entfernung niederzumachen ist. Das klingt nur unehrenhaft, wenn man
die
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