Junger, Sebastian
Vorstellung hegt, moderner Krieg habe mit Ehre zu tun; hat er aber nicht.
Er hat nur mit Sieg zu tun, was bedeutet, dass der Feind unter möglichst
ungleichen Bedingungen getötet werden muss. Alles andere würde zur Folge haben,
dass man höhere Verluste unter den eigenen Männern hinnehmen müsste.
Es gibt
zwei Möglichkeiten, in einem ansonsten fairen Kampf die Chancen zu
manipulieren: Greife den Feind aus dem Hinterhalt und mit überwältigender
Kampfkraft an oder setze Waffen ein, für die es keine Gegenwehr gibt. Natürlich
ist es am besten, beides zu tun. In Restrepo hatte ich viele Albträume von
Kampfhandlungen - ich denke, so ging es allen -, und sie handelten ausnahmslos
davon, hilflos zu sein: Gewehre hatten Ladehemmung, der Feind war überall, und
niemand wusste, was überhaupt los war, militärisch gesehen der perfekte
Hinterhalt. Einmal erlebte ich, wie ein Apache-Hubschrauber einen
Taliban-Kämpfer namens Hayatullah auf einem offenen Berghang stellte und
tötete. Er konnte nirgends mehr hinlaufen, und beim zweiten Feuerstoß wurde er
von einem 30-mm-Geschoss getroffen und explodierte. Daran war nichts Faires,
aber Hayatullah war der Anführer einer Zelle, die im Tal an den Straßenrändern
Bomben legte, und man konnte entgegenhalten, dass auch an der von ihm
ausgeübten Tätigkeit nichts Faires war. Später fragte ich O'Byrne, ob er sich
vorstellen könne, wie es sein müsse, von einem Apache ins Visier genommen zu
werden. Er schüttelte nur den Kopf. Wir sprachen auch über das Kampftrauma, und
ich sagte, wenn jemand derartige Kampfhandlungen überlebt hatte, müsse er doch
entsetzliche Albträume haben. »Das will ich verdammt noch mal hoffen«, sagte
O'Byrne.
Die
Taliban-Kämpfer im Korengal verlegten sich auf Straßenbomben, weil sie in
Feuergefechten zu viele Männer verloren. Und sie hatten auch Probleme mit den
Einheimischen bekommen: Als Taliban-Kämpfer begannen, amerikanische Patrouillen
anzugreifen, wussten die Amerikaner nicht, wohin sie zurückschießen sollten.
Ende des Sommers zeigten die Einheimischen den Amerikanern bereits feindliche
Stellungen, damit die die richtigen Ziele aufs Korn nahmen. Durch den Einsatz
von Straßenbomben ließen sich diese Probleme vermeiden. Sie waren billig, wenig
riskant und töteten keine Zivilisten. Ich bezweifle, dass viele Dorfbewohner
tatsächlich darauf erpicht waren,
Amerikaner in die Luft zu sprengen, aber nur wenige von ihnen nahmen so viel
Anteil, dass sie zum KOP gingen und den Soldaten erzählten, wo man Bomben
eingegraben hatte. Der Kampf spielte sich zwischen den Taliban und den Amerikanern
ab, und die Dorfbewohner hielten sich mehr oder weniger heraus.
Der erste
große Bombenanschlag im Korengal ereignete sich zwei Tage nach Weihnachten. Destined
Company hatte überall in den Feuerstellungen des Battalions motorisierte Einheiten
verteilt, und vier dieser Trucks waren in Stellung gegangen, um eine
Fußpatrouille zu unterstützen, die von Restrepo herunterkam. Einer dieser
Humvees war gerade dabei, in drei Zügen zu wenden, als eine Panzerabwehrmine
unter ihm detonierte und den Turmschützen Jesse Murphree so weit den Berg
hinunterkatapultierte, dass anfangs niemand seine Abwesenheit registrierte.
Der Rest der Besatzung erlitt Gehirnerschütterungen und Knochenbrüche. Der
Humvee stand sofort in Flammen, und während man ihn zu löschen versuchte,
kletterten Hijar und Buno und Richardson vom 2 nd Platoon den Berg
hinunter, um nach Murphree zu suchen. Sie fanden ihn in knapp hundert Metern
Entfernung. Er war kaum mehr bei Bewusstsein, und seine beiden Beine waren nur
noch Mus. Sie legten ihm Tourniquets an, damit er nicht verblutete, und trugen
ihn an die Straße und halfen, ihn in einen Humvee zu schieben. Murphree wusste,
dass er schwer verletzt war, hatte aber noch nicht begriffen, dass er beide
Beine verloren hatte. Immer wieder fragte er seinen Squad Leader, Staff
Sergeant Alcantara, ob er trotzdem noch zu dessen Hochzeit kommen könne, wenn
sie alle erst wieder in Italien waren.
Der Feind
besaß jetzt eine Waffe, die den Amerikanern mehr zusetzte, als der Beschuss mit
Infanteriewaffen es vermochte: Zufallsglück. Jedes Mal wenn man eine Straße
entlangfuhr, konnte man sich einem verdrehten existenziellen Gedankenspiel
nicht entziehen, in dem jeder erlebte Moment der einzige Beweis dafür war, dass
man im Augenblick zuvor nicht in die Luft gesprengt worden war. Und wenn man in die
Luft flog, würde man es wahrscheinlich nie zu wissen
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