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Junger, Sebastian

Junger, Sebastian

Titel: Junger, Sebastian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: War
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einmal zuzuschlagen. Doch er lehnt ab, und gemeinsam helfen sie
Gillespie auf die Beine. Die Brille schief auf der Nase, klopft er den Schmutz
von seiner Kleidung und schüttelt den Kopf. Er versucht zu lachen. Ich habe
soeben miterlebt, wie ein Offizier des US-Militärs auf einem abgelegenen
Vorposten in Afghanistan von seinen Männern überwältigt und verprügelt wurde,
und mir dämmert, dass dergleichen bei anderen Armeen nicht geschieht und
wahrlich auch nicht auf anderen Vorposten. Im vergangenen Herbst überlegten sich
O'Byrne und Sergeant Mac krampfhaft, wie sie jemanden nach seinem Urlaub willkommen
heißen konnten, und ihnen fiel nichts anderes ein, als ihm die Seele aus dem
Leib zu prügeln. Und genau das taten sie auch. Damit begann eine Tradition, der
nachzueifern nicht einmal andere Platoons in der Battle Company interessierte.
»Die Jungs, die ich am meisten mag, kriegen die schlimmsten Prügel«, erklärte
O'Byrne. »Das ist ein Zeichen der Zuneigung, aber eben auf die denkbar
schrägste Weise. Es ist die harteTour, das ist
es. Lieutenant Piosa haben sie so schlimm verprügelt, dass sein Gesicht aussah,
als hätte man ihn gefoltert.«
    Gillespie
übernahm das Kommando über den 2 nd Platoon und gab dadurch auf dem
Berg Anlass zu viel Gerede. Hier oben ging es ernst zur Sache, und die Männer
wussten, dass ein schlechter Leader sie alle schnell das Leben kosten konnte.
Sie waren nicht sonderlich vertraut mit Gillespie, abgesehen davon, dass er
eine entfernte Ähnlichkeit mit Napoleon Dynamite besaß, und daher wurde ein
kollektiver Beschluss gefasst, der so weit entfernt war vom Army-Protokoll,
dass niemand einen Besitzanspruch stellen mochte. »Der 3 rd Platoon
stand nicht gerade toll da«, erklärte mir O'Byrne Monate später. »Also hatten
wir schon unsere Zweifel - okay? Und wir sagten uns: >Wir prügeln ihn
windelweich, und wenn er das nicht einsteckt, dann, Scheiß drauf - dann hören
wir einfach nicht auf den Motherfucker. Wenn er keine Prügel einstecken kann,
gehört er sowieso nicht zum 2 nd Platoon.<«
    Vieles war
großspuriges und derbes Gerede, aber es stand außer Zweifel, dass die Männer
Gillespie ungeheuer respektierten, und ihn so zusammenzuschlagen war eben ihre
Art, die Achtung zu demonstrieren. Ein nicht so gestandener Offizier hätte sich
niemals auf eine solche Situation eingelassen, und weniger gestandene Soldaten
wären niemals auf eine solche Idee gekommen. Es ging um Brüderschaft, nicht um
Disziplin, und im Command war man klug genug, das zu verstehen und sich
rauszuhalten. »Der natürliche Instinkt des Menschen ist es, zu überleben«,
sagte Kearney über den 2 nd Platoon. (Tim hatte ihn gerade gefragt,
ob sie »Dämonen« in sich hätten.) »Die Jungs gehen nicht da raus und kämpfen
für die Freiheit, und sie kämpfen auch nicht aus Patriotismus - sie kämpfen,
weil sie wissen, wenn sie da allein rausgehen und Aliabad betreten, bedeutet
es ihren sicheren Tod.«
    Die
Spielräume waren so gering und der kleinste Irrtum möglicherweise so
katastrophal, dass jedem Soldaten de facto die Autorität zugestanden war,
andere zurechtzuweisen - in manchen Fällen sogar einen Offizier. Und da der
bewaffnete Kampf von den absurdesten Einzelheiten abhängen kann, gab es im
Tagesablauf eines Soldaten so gut wie gar nichts, das nicht in die
Gruppenzuständigkeit fiel. Ob man seine Schnürsenkel gebunden oder seine Waffe
gereinigt oder genügend Wasser getrunken oder sein Nachtsichtgerät gesichert
hatte, waren samt und sonders Angelegenheiten öffentlichen Interesses und durften
daher öffentlich kontrolliert werden. Einmal erlebte ich, wie ein Private einen
anderen Private ansprach, dessen Schnürsenkel über den Boden schleiften. Nicht
dass es ihm darum ging, wie es aussah, aber wenn plötzlich etwas passierte -
und da draußen geschah alles plötzlich -, konnte man sich nicht darauf
verlassen, dass der Typ mit den losen Senkeln in einem entscheidenden
Augenblick fest auf den Füßen stand. Es war das Leben des anderen Mannes, das
er in Gefahr brachte, nicht nur sein eigenes. Ein anderes Mal lagen zwei Squads
außerhalb von Karingal im Hinterhalt, und ein Mann rollte zur Seite, um zu
urinieren. Man konnte es auf drei Meter Entfernung riechen, was bedeutete,
dass er nicht genügend hydriert war, und als Patterson ein Hauch in die Nase
stieg, kanzelte er den Mann mit barschen Worten ab. Wenn man nicht genügend
hydriert ist, kann man umso eher einen Hitzschlag bekommen, und das könnte

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