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Junger, Sebastian

Junger, Sebastian

Titel: Junger, Sebastian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: War
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eine
Patrouille so verlangsamen, dass sie in die Enge getrieben und überrannt wird.
So etwas wie persönliche Sicherheit gab es draußen nicht.
Was dem Einzelnen geschah, das geschah allen.
    Dass auf
einer Basis wie Restrepo Einzelheiten so genau beachtet werden, erzwang eine so
große Durchschaubarkeit all dessen, was ein Soldat tat, dass ich es irgendwann
fast wie eine Zen-Übung sah: Zen und die Kunst, keine Scheiße zu bauen. Es
erforderte hohe Achtsamkeit, weil potentiell alles seine Konsequenzen hatte.
Einmal nahm ich an einer Shura im KOP teil und trug dabei ein abgelegtes
Army-Hemd, das Anderson mir gegeben hatte. Als ich das Gebäude verließ, vergaß
ich, das Hemd mitzunehmen. Ein paar Stunden später stellte ich fest, dass ich
es nicht finden konnte, und geriet in kontrollierte Panik: Wenn einer der
Ältesten es genommen und einem feindlichen Kämpfer gegeben hatte, wäre der Mann
in der Lage, sich für einen amerikanischen Soldaten auszugeben. Irgendwann fand
ich das Hemd, aber den Blicken, die ich mir einfing, war deutlich anzumerken,
dass ich große Scheiße gebaut hatte und dergleichen besser nicht noch einmal
vorkommen solle.
    Frontsoldaten
haben mindestens seit dem Zweiten Weltkrieg und wahrscheinlich schon viel
länger ihr eigenes Verhalten gegenseitig überwacht. In einer Studie über
Tapferkeit, die in den 1940ern vom US-Militär durchgeführt wurde, hat der Autor
Samuel Stouffer Folgendes zur persönlichen Verantwortung zu sagen: »Jede individuelle
Handlung, die vorstellbare Auswirkung auf die Sicherheit anderer hatte, wurde
für die Gruppe als Ganzes zu einer Angelegenheit öffentlichen Interesses.
Isoliert, wie er vom Kontakt mit der restlichen Welt war, wurde der Kämpfer
zurückverwiesen auf seinen Truppenteil, um seine diversen Bedürfnisse an
emotionaler Zuwendung zu befriedigen ... für die normalerweise Familie und
Freunde zuständig gewesen wären. Die Gruppe befand sich daher in einer
vorzüglichen Ausgangsstellung, um das Individuum auf ihre Normen zu
verpflichten.«
    In der
zivilen Welt hat nichts dauerhafte Konsequenzen, sodass man in einer Art
Dämmerzustand durchs Leben tappen kann. Man braucht niemals eine Inventur der
Dinge zu machen, die man im Besitz hat, und nie zu bedenken, wie sich ganz
banale Dinge auswirken können - ja, tödlich sein können. Folglich verliert man
das Gespür für die Bedeutung von Dingen, ja, für das Gewicht, das sie haben.
Auch zu Hause besitzen banale Dinge Zerstörungskraft, aber Ursache und Wirkung
sind oft so weit voneinander entfernt, dass man nicht einmal die Verbindung
sieht: In Restrepo war es unmöglich, den Zusammenhang zu ignorieren. Er ging
zwar auf die Nerven, aber verlieh alltäglichen Dingen - den Schnürsenkeln und
dem Wasser und dem verlorenen Hemd - faszinierende Bedeutung. Ehrlich gesagt,
sobald man sich an diese Lebensweise gewöhnt hatte, wurde es schwierig, nach
Hause zurückzukehren.
    Es gab
Achtlosigkeit und dann gab es echte Fehler, und sobald die Grenze zwischen
ihnen überschritten wurde, setzte die Disziplinierung von oben in ihrer ganzen
Schonungslosigkeit ein. Einmal wachte ich mitten in der Nacht von Ächzen,
Stöhnen und lautem Gebrüll auf. Draußen fand ich Staff Sergeant Alcantara vor,
der seine gesamte Squad zusammenstauchte. Wer auch immer auf Wache gewesen
war, hatte die Batterien in dem Infrarotsichtgerät PAS-13 leer werden lassen,
mit dem sie bei Nacht die Berghänge absuchen konnten.
    In einer
dunklen Nacht bot das PAS-13 die einzige Möglichkeit zu erkennen, ob der Feind
näher schlich, um einen Überraschungsangriff zu starten. Leere Batterien
konnten die Stellung buchstäblich der Gefahr aussetzen, überrannt zu werden.
Damit niemand Mist baute, setzte man am besten die ganze Squad kollektiver
Bestrafung aus, denn das hatte zur Folge, dass jeder den anderen im Auge
behielt. Al ließ sie alle in Stress-Stellungen Sandsäcke stemmen und gnadenlos
Dreck fressen. Ich ging irgendwann wieder nach drinnen und legte mich schlafen.
Am nächsten Morgen fragte ich ihn, ob die Bestrafung für reinen Tisch gesorgt
habe - oder ob noch ein Stigma geblieben sei, das nicht so schnell
auszuradieren sei.
    »Da trägt keiner etwas nach, wenn
alle zusammengestaucht worden sind«, sagte er. »Sie sind eher stinksauer, dass
sie einander enttäuscht haben. Aber vorbei ist vorbei.«
     
    Mit der
Dunkelheit bricht auch die Kälte herein, wie eine Art Gerichtsurteil, und die
Männer wandern nach drinnen, um an den Dieselöfen zu

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