Junger, Sebastian
aber jetzt ist es kalt und still und ohne Leben: vier Männer, die
nichts zu tun haben, als auf die Berge zu starren und immer wieder
auszurechnen, wie lange ihr Einsatz noch dauert.
Eine
Patrouille kommt von Obenau mit einem Gefangenen, der nur einen dünnen Salwar
Kamiz aus Baumwolle am Körper trägt. Er zittert vor Kälte, aber aus
irgendeinem Grund blickt er lachend in die Runde. Vielleicht kann er nicht glauben,
unter welchen primitiven Umständen die Amerikaner leben. Die Patrouille bringt
ihn hinunter in den KOP, und wir gehen weiter hinauf nach Restrepo. Der Wind
wird gegen Abend schärfer, und Affen kreischen ihr Missfallen von den
Bergspitzen. Wir machen uns nicht die Mühe, das letzte Stück im Laufschritt zu
nehmen, denn es hat seit Wochen im Tal keine Schießerei mehr gegeben, und bei
den schneebedeckten Bergen um uns herum fällt es auch schwer, sich nicht vorzukommen
wie auf einem extremen Campingtrip. Restrepo hat inzwischen Bee Huts aus
Sperrholz, die abenteuerlich schräg an den Berg lehnen, einen Wachturm mit
einem Mark-19 und einem winzigen Zwei-Mann-Vorposten hundert Meter außerhalb
des Drahtverhaus. Der Posten heißt Columbus und deckt die Schlucht unter
Restrepo ab. Bei einem geballten Angriff würde Columbus wahrscheinlich ohne
Schwierigkeiten eingenommen werden, aber das würde den Männern in Restrepo
genügend Zeit geben, sich ihre Waffen zu greifen und aus der Tür zu stürmen.
Wir
betreten Restrepo und lassen unsere Backpacks auf einen Haufen fallen. Die
Sonne hat den Abas Ghar zum Rotglühen gebracht, und einige der helleren
Planeten stehlen sich schon an den Nachmittagshimmel. Die Männer stehen da in
ihren dreckigen Fleece-Jacken und mit geöffneten Hosengürteln, rauchen und
sehen wieder einen Tag zur Neige gehen. Sie sind schmutzig bis in die Poren und
unter die Nägel. An den Handgelenken und am Hals, wo die Uniform scheuert,
wirkt ihre Haut wie glatt poliert. Schmutz sammelt sich in Hautfalten, die
sich wie sonderbare Netze um die Augenwinkel legen. Über die Handflächen ziehen
sich schwarz und unverkennbar die Lebenslinien. Es ist ein Camp heimatloser
Männer oder Jäger, für die seit Monaten keine Frauen mehr existieren und die
schon lange auf nette Umgangsformen verzichten. Sie rülpsen und furzen und
putzen sich die Nase am Ärmel und wischen sich den Mund an der Hemdbrust ab.
Und sie würzen jeden ihrer Sätze mit so vielen Flüchen, dass die meisten Zivilisten
eine Woche damit auskämen. Als der Kampf im vergangenen Herbst endete, bekamen
sie es so sehr mit der Langeweile zu tun, dass sie Felsbrocken aus dem Hang
lösten und sie ins Tal rollen ließen. Sie wollten versuchen, einen dieser Brocken
den Drahtverhau von Firebase Phoenix durchbrechen zu lassen, nur um den 3 rd Platoon auf Trab zu halten. Caldwell befahl ihnen schließlich, damit Schluss zu
machen.
Gillespie
übernimmt sofort das Kommando. Patterson, der Platoon Sergeant, hält eine kurze
und scharfe Ansprache, in der er klarmacht, dass die Probleme mit dem 3 rd Platoon keine Rückschlüsse auf Gillespie zulassen. Dann überlässt er ihm das
Wort. Alles an Gillespie ist lang: sein Oberkörper, seine Beine, sein Hals.
Sein ungelenker Gang täuscht leicht darüber hinweg, wie tough er wirklich ist.
Jetzt steht er da, im grauen Licht, das langsam ganz verlöscht, wirkt schlaksig
und ein wenig unbeholfen und übernimmt den möglicherweise meistumkämpften
Outpost des gesamten US-Militärs. »Ich bin während der vergangenen fünf Monate
unten beim 3 rd Platoon gewesen, also werdet ihr mich wahrscheinlich
hier und da mal gesehen haben«, sagt er. »Ziemlich entspannter Typ, wie
Sergeant Patterson sagt. Ich behalte euch im Auge, und wir werden sehen. Hat einer
von euch eine Frage?«
Jones hebt
die Hand. Eine sonderbare Erwartung liegt in der Luft. Die Männer sind darauf
bedacht, keinen Blickkontakt zu haben. Gillespie hat die Hand in den Taschen,
und daher könnte er nicht das Geringste gegen das tun, was sich anbahnt.
»Haben Sie den Film Blood In Blood Out gesehen,
Sir?«, fragt Jones.
Pause.
»Schnappt
ihn«, ruft jemand, und First Lieutenant Steve Gillespie verschwindet unter
einem wimmelnden Soldatenhaufen. Schon bald liegt er flach auf dem Rücken. Dann
ziehen sie ihm das Hemd hoch und schlagen ihm abwechselnd mit der Hand auf den
Bauch, so hart sie können. Donoho spuckt zuerst noch auf die Handfläche, damit
es schlimmer schmerzt. Einer nach dem anderen ist dran, und auch Patterson wird
angeboten,
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