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Jussifs Gesichter

Jussifs Gesichter

Titel: Jussifs Gesichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Najem Wali
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Ein Lachen, das ihr Gesicht verjüngte. So lachte nur Sarab. Dann trat sie um einen Schritt zurück und ging ins Schlafzimmer. Er folgte ihr.
    In dem Zimmer spürte er, dass es dem Schlafzimmer in seinem Haus ähnelte: das breite Bett, der Kleiderschrank, der Spiegel und die kleine Kommode, auf der sie ihre Schminkutensilien aufgereiht hatte. Es war sogar der gleiche Teppich, das gleiche gedämpfte Licht. Irgendetwas an diesem Zimmer liebte er, vielleicht die Vertrautheit mit den Dingen. Es war, als kenne er es seit Jahren, als sei alles in diesem Zimmer zu einem Teil von ihm geworden. Nur die nackt auf dem Bett liegende Frau erschien ihm etwas fremd. Er näherte sich ihr und hatte den Eindruck, sich ihres Seins erst vergewissern zu müssen. Eswar gut möglich, dass er sie nur erfunden und auf das Bett gelegt hatte, wie er es mit Hunderten anderer Gegenstände auch machte. Als er sich auf die Bettkante setzte und die Hand ausstreckte, um sie zu berühren, fiel seine Hand auf das ihren Unterleib zur Hälfte bedeckende Laken, und er bemerkte, dass es ein neues Laken war. Er beugte sich halb über die Frau, die die Hände hinter den Kopf geschoben hatte, um sich am Bettrahmen festzuhalten, und er blickte auf ihre vollen geöffneten Lippen, die flüsterten: »Ich gebe mich dir ganz hin. Mach mit mir, was du willst.«
    Er fragte sich, wann er Sarab je so nackt vor sich auf dem Bett hatte liegen sehen. Er hatte es vergessen.
    »Ruhig, mein Hübscher, ruhig. Ich bitte dich, vergiss alles«, hörte er ihre sanfte Stimme, als er sich neben ihr ausstreckte.
    Warum bittet sie mich, zu vergessen? Möchte sie mir das Gefühl austreiben, ich würde jemanden betrügen – dieses Mädchen zum Beispiel, das kleine Mädchen mit den grünen Augen, den blonden Zöpfen und dem blauen T-Shirt? Er fragte sich, ob Verlässlichkeit und Treue für sie – wie für die anderen – das Übereinstimmen zweier Menschen bedeutete, keiner anderen Person die Berührung mit den Fingerspitzen zu erlauben. Dann fragte er sich, zu welcher der Frauen sie gehöre. Sollte er ihren Körper als eine neue neben ihm liegende Sache behandeln, oder sollte er sie als die Frau betrachten, die er viele Jahre zuvor vor dem Ausbrechen der Katastrophe und vor den allgegenwärtigen Zerstörungen kennen gelernt hatte? Wollte sie ihn auf die Probe stellen, oder wollte sie genau wie er nicht mehr dieselben Fragen stellen? Bis zu dem Augenblick, da er die Hand nach ihr ausstreckte, hatte er das Gefühl gehabt, sie nicht erfassen zu können. Er hatte auch früher, vor allem zu Beginn ihrer Beziehung, gespürt, dass die Bewegungen ihres Leibes und ihre Atmung voller Spannung, Ratlosigkeit, Schwindel und Zweifel waren. Wenn sie behauptete, ihm ihre Seelehinzugeben, dann war es dies, was er sah – in dem Moment, da seine Hände nach ihr griffen und die Leichtigkeit ihres Körpers fühlten. Manchmal versteifte sie sich in der Sekunde des Losstürmens, des Sich-Ineinanderschlingens von Beinen und Armen, beim Küssen und Beißen ihrer Glieder. Doch dann, vielleicht wenn sie sich ihrer selbst bewusst wurde, wandelte sie sich und schien so leicht wie eine Feder, und er liebkoste sie nach Herzenslust. In diesen Momenten merkte er, wie sie ihren Fingern nach dem Gewünschten zu suchen erlaubte und sie ankamen, wo sie ankommen mussten. In diesen Momenten merkte er, dass sie handelte wie er: Sie hielt in ihren Bewegungen inne und betrachtete ihn mit Augen, die in der Dunkelheit des Zimmers glänzten. Oder sie hielt in ihren Berührungen inne und bat auch ihn, einen Augenblick zu warten, legte sich auf den Rücken, sechzig oder siebzig Zentimeter von ihm entfernt, und schaute an die Decke, als würde sie sich zu einem neuen Angriff rüsten. In diesen Momenten fragte er sich auch, ob sie diesen Mann wahrnahm, der mal unter, mal auf ihr lag. Spürte sie dasselbe wie er? Wer weiß, vielleicht dachte sie nicht an dasselbe wie er, vielleicht dachte sie nicht wie er: ›Denken wir nicht auf unterschiedliche Art und Weise über dieselbe Frage nach? Wer sagt, dass auch der andere über dieselbe Frage nachdenkt, nur weil wir ineinander verschlungen im Bett liegen und dasselbe tun?‹
    »Warum hörst du nicht auf nachzudenken und kommst zu mir?«
    Diese Frage hatte er hören müssen, um sich erneut auf sie zu stürzen und wirklich mit dem Nachdenken aufzuhören. Er zitterte. Es war, als hätte er noch nie im Leben mit einer Frau geschlafen oder als könne er nicht glauben, sie wieder gefunden zu

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