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Jussifs Gesichter

Jussifs Gesichter

Titel: Jussifs Gesichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Najem Wali
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haben. Er begann, sie am ganzen Körper zu küssen, als wolle er sich vergewissern, dass wirklich sie es war, die neben ihm im Bett lag, als fürchte er, sie nach wenigen Augenblickenwieder zu verlieren. Er biss sie hier und da, um sich den Geschmack ihrer verschwitzten, vor Salz triefenden Haut einzuprägen, den er so lange vermisst hatte. ›Wir entdecken einander aufs Neue und stellen fest, dass wir füreinander geschaffen sind‹, sagte er sich, befahl sich aber sofort, mit dem Denken aufzuhören. Er wollte nur noch den Rhythmus ihres Körpers wahrnehmen, der mit dem Rhythmus des seinen übereinstimmte. Er wollte, dass sie seinen Körper Stück für Stück nahm und von Ort zu Ort mitriss, er wollte ihren Körper stets aufs Neue entdecken. Und wenn er plötzlich zweifelte, sollte er in den Schrankspiegel gegenüber vom Bett blicken, um das Paar zu beobachten: ineinander verschlungen, aneinander klebend, einander vollendend, als seien sie einander seit vielen Jahren – seit Beginn der Zerstörungen – nicht begegnet. Er würde beobachten, wie sie sich in jeder neuen Lage nicht aus dem Takt bringen ließen. Er würde Schenkel, Schultern und Becken erkennen, die noch kraftvoller, leidenschaftlicher und vollendeter zueinanderfänden. Er würde sehen, wie die beiden einander das Verlangen leihen, geradezu darin wetteifern. Er würde sehen, wie das Verlangen immer heftiger wird. Er würde sehen, wie ihr langes Haar ihr Gesicht bedeckt. Er würde den Glanz ihrer Augen sehen, der im Dunkel ihrer Haare aufflackert und erlischt. Er würde die tiefe Einsamkeit der beiden und der um sie herum in der Dunkelheit des Zimmers wachsenden Dinge bemerken. Ihre Umgebung entwickelt sich in Richtung auf eine ungewisse Zukunft, eine Zukunft des kommenden oder des gerade endenden Augenblicks, von dem er nicht will, dass er zur Vergangenheit werde. Jede Zuckung ihrer Körper läuft auf eine Verteidigung gegen sich selbst hinaus: gegen die Stummheit, die die Vergangenheit in sich birgt, gegen das Nachdenken über das Unbekannte, gegen das letzte durch die Beine fahrende Zittern, begleitet von der Trostlosigkeit der Nacht und dem Absturz in den trostlosen Schlaf, wennsich die Seele einem neuen Albtraum oder dem nahenden Tod unterwirft.
    »Sag, dass du mich begehrst«, hörte er sie stöhnen.
    Kaum hatte sie diese Worte gesprochen, da seufzte sie auch schon tief auf, und er spürte, wie ihre Fingernägel ihn kratzten und ihre verschlossene Scheide sich öffnete und zuschnappte und sein Glied mit einer jähen Bewegung in sich aufsaugte.
    Seine Hand begann nach ihr zu suchen. Noch immer drängte sie ihren Unterleib an seine Oberschenkel, während ihr Kopf auf dem Kissen lag. Ihr Körper bebte und fasste sich wieder, dann entwich ihm ein Laut wie von einer aussetzenden Maschine, um kurz darauf ganz zur Ruhe zu kommen. Ihr Herzschlag war kaum zu vernehmen: tak, tak, tak. Sogar seine Worte – welche auch immer – verloren sich im Dunkel der Nacht. Auch er war ein zu Tode Erschöpfter, der keine Ahnung hatte, wie spät es war, als er zum ersten und letzten Mal in dieser Nacht sprach:
    »Ich begehre alles an dir.«
    Dann hörte er endgültig auf zu denken und schlief ein.

Achtes Kapitel
    Auf der Rückkehr von sich selbst zu sich hin:
    ein Besuch in der geheimen Bar, der Mekka-Bar,
    und der Abschied von den Freunden
     
    Als Jussif wieder aufwachte, hatte er das Gefühl, dass er nur ein paar Minuten geschlafen hatte. Die Müdigkeit saß ihm immer noch in allen Knochen. Er spürte auch, dass er seine Augen eigentlich gar nicht geschlossen hatte. Dieser Zustand ging so weit, dass er sich selbst beim Schlafen zusehen konnte. Ganz offensichtlich hatte er mehrmals zu schlafen versucht, war aber nur einmal kurz eingenickt. Er lag auf der Seite, den Rücken der zweiten Hälfte des Bettes zugekehrt, den Kopf in die rechte Hand gestützt. Seine Augen waren ins Leere gerichtet, in die Dunkelheit des Zimmers. Als er aufstand und die neben dem Bett liegenden Kleider anzog, bemerkte er, dass der Besitzer der fremden Stimme zum ersten Mal nicht zu ihm gekommen war und ihn nach dem Aufwachen ein vollkommen anderes, neues Gefühl heimsuchte. Es schien ihm alles vertraut, als hätte er in der vergangenen Nacht davon geträumt. Einzelheiten dieses Traums waren ihm zwar entfallen, immerhin aber konnte er sich an eine weibliche Stimme erinnern, die sagte: »Du bist in deinem Haus.« Als er, um sich dessen zu vergewissern, aus dem Fenster des Salons blickte,

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