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Jussifs Gesichter

Jussifs Gesichter

Titel: Jussifs Gesichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Najem Wali
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bemerkte er die gleiche, bereits im Schlaf gesehene Finsternis, die jetzt die Umgebung des Hauses beherrschte. Er wollte nicht das Licht einschalten, weil er sich der Ereignisse und des Ortes, an dem er sich befand, immer noch nicht sicher war. Als er jedoch das Badezimmeraufsuchte, sich das Gesicht wusch und in den Salon zurückkehrte, kam ihm die Gewissheit, den Raum zu kennen. Wer die Hand so selbstverständlich nach der Türklinke streckt, Türen so schlafwandlerisch öffnet, der ist über jeden Zweifel erhaben. Es war einer dieser seltenen Augenblicke, deren Tiefe er nicht ergründen konnte, obwohl er sich besonders in den letzten Tagen regelmäßig mit ihnen beschäftigen musste. Nicht zum ersten Mal stellte er fest, dass er nur sich selber nachäffte. Anders als früher verwandelte er sich dabei aber in keine andere Persönlichkeit. Der Widersacher sollte ihm lieber klarmachen, dass er sich seiner selbst anzunehmen habe. Er entdeckte mehrmals, dass er sich nicht nur auf die gleiche Art und Weise bewegte, sondern auch die Orte, die er durchstreifte, erfand. Es war, als gäbe es zwei Jussifs: einen im Haus, den anderen an Orten, die er nur durchstreift zu haben meinte. Wäre er ein Schriftsteller gewesen, der einen Roman über sich selbst schrieb, hätte er diesem den Titel »Spaziergang an vertrauten Orten« gegeben. Aber er hasste poetische Titel, und was ihm zustieß und Schmerzen hervorrief oder Erinnerungen bloßlegte, hatte mit poetischen Titeln nichts zu tun. Alles war wirklich, sogar der ihn beherrschende Wahn. Und die Frau? Ja, was war mit der Frau, überlegte er. Wer stellte fest, dass sie nicht zugegen war, sondern das Haus verlassen und einen Brief oder ein Zettelchen für ihn hinterlegt hatte? Hatte auch sie sich aufgemacht zu »einem Spaziergang an vertrauten Orten«?
    Jussif warf einen Blick in den Salon und sah seinen Koffer, den er in der vergangenen Nacht dort abgestellt hatte. Dann erkannte er in der Dunkelheit zwei Dosen Bier, einen Aschenbecher und ein paar Kindercomics neben einem Kassettenrekorder mit schwach leuchtendem rotem Lämpchen. Er schaltete den Kassettenrekorder aus und zog das in der Wand steckende Kabel heraus. Er rollte es zusammen und hielt es fest in der Hand. Mit der anderen Hand suchte er nach dem Zettel,den die Frau für ihn zurückgelassen hatte. Er lag auf dem Tisch, daneben ein Stift. Als er ihn sich nah vor Augen hielt, entdeckte er darauf ein von ihr gemaltes Herz und ein paar dazu geschriebene Worte: »Ich liebe dich ... Lebe wohl!«
    Er dachte, die gleichen Worte zu lesen, die er auch Sarab schreiben wollte. Er steckte Zettel und Stift in die Hemdtasche. Dann untersuchte er das Schlafzimmer, ging in den Korridor, griff nach dem Koffer und ließ ihn wieder zu Boden fallen. Nach kurzem Zögern beschloss er, ihn dort zu lassen, für Sarab. Vielleicht konnte sie ihn besser gebrauchen als er. Außer diesem Koffer gab es nichts, was sie an ihn erinnern könnte. Von diesem Tag an zählte nur noch der Kassettenrekorder. Er verließ das Haus.
    Als er auf die Straße trat, war die Finsternis am tiefsten. Er hätte gern gewusst, wie spät es war, aber er hatte seine Uhr mit dem phosphoreszierenden Ziffernblatt im Haus vergessen, und fragen wollte er auch niemanden. Zu dieser Stunde waren ohnehin nur noch wenige Menschen unterwegs, da es schon wieder einen Stromausfall gab. Die Menschen bewegten sich, als schwebten sie über einen fremden Planeten. Es fiel ihm ein, dass er seit vielen Jahren nicht mehr zu dieser Nachtzeit auf dem Heimweg gewesen war. Für gewöhnlich verließ er zu dieser Zeit das Haus. Die Vorstellung nistete sich in seinem Kopf ein, nicht nur er ginge aus dem Haus, sondern auch alle seine »nächtlichen Kameraden«, die sogenannten »Piloten der Nacht«, die sich in der geheimen Bar, der Mekka-Bar, zu treffen pflegten. Es war, als hätten er und die »Piloten der Nacht« ihr diesen sinnvollen Namen gegeben – Mekka-Bar – und damit eine besondere Zeit, die sich von der Zeit anderer Menschen unterschied, besetzt .
    Auf dem Weg zur Bar fühlte er sich glücklich. Nichts war ihm lieber, als dort seine Freunde zu sehen, die »den einzigen Tisch der Hoffnungslosen miteinander teilten«, wie sie ihreTreffen gern umschrieben. Während diese Zusammenkunft vor seinem inneren Auge ablief – es war, als male er sich ein Treffen mit seiner Geliebten aus –, hörte er eine Stimme, die ihm bekannt erschien. Er drehte sich um und sah die beiden Jungs mit dem Generator

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