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Jussifs Gesichter

Jussifs Gesichter

Titel: Jussifs Gesichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Najem Wali
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von den anderen Barbesuchern. In irgendeiner Nacht, an irgendeinem Tag, zu einem festgesetzten Datum trafen sie einer nach dem anderen ein, als kämen sie aus den Wänden gekrochen, als seien sie nach ihrer Geburt dort ausgesetzt worden und könnten nur noch vorübergehend vertrieben werden, als hätten sie nur auf den passenden Augenblick gewartet, um an den Ort ihrer Kindheit zurückzukehren. In den vergangenen Tagen hatte Jussif sich nirgendwo so sicher gefühlt wie hier, nicht einmal zu Hause. Oft sagte er sich, hier endeten die Albträume und begänne friedliches Terrain. Der Barkeeper pflegte stolz zu verkünden: »Hier liegt die positive neutrale Zone zwischen dir und deiner Seele.«
    Er hatte noch nicht vergessen, wie ihn beim erstmaligen Betreten der Bar dieses Gefühl der Sicherheit, diese süße Freude überkam. Sarab hatte ihm erzählt, es gebe in der Nähe ihres Hauses, hinter dem Museumsplatz, anscheinend eine Bar, die vierundzwanzig Stunden am Tag geöffnet habe. Aber er musste noch ein paar Jahre warten, um herauszufinden,dass sie dies von ihrem Vater wusste, der dort vor seiner Einlieferung ins Irrenhaus jahrelang ein treuer Kunde gewesen war. Sarab, die damals allein in ihrem Haus lebte, musste manche Nacht ein Taxi nehmen, um ihren Vater von der Bar abzuholen. Hätte man ihn nicht gehindert, wäre er wohl nicht nur bis zum nächsten Morgen geblieben, sondern hätte mehrere Tage und Nächte dort verbracht. Jussif erfuhr diese Geschichte jedoch nicht von Sarab selbst, sondern von dem Barkeeper, der ihm die Geschichte von einem Mann erzählte, der aufwachte, sobald seine Tochter vor ihm stand.
    Damals weckte der bloße Gedanke an diese Art von Bar Groll und böse Erinnerungen. Die Bar erinnerte ihn an die Nächte, in denen er die Zeit bis zu seiner späten Heimkehr nach Hause totschlagen wollte, um Mariam, die Frau seines Bruders, schlafend anzutreffen. Als er in der Folgezeit von Stadt zu Stadt zog, vergaß er die Bars. Später, als er das Haus verlassen hatte und von einer Stadt in die andere zog, nahm er ein neues Wort in seinen Wortschatz auf: »Klub«. In jeder Stadt, in die er kam, gab es einen bestimmten Klub für die Zunft der Beamten, den Jussif regelmäßig aufsuchte. Im Allgemeinen war es für ihn unerheblich, ob er sich in Klubs oder Bars herumtrieb; er verbrachte jede Nacht auf die gleiche Art und Weise. Er war nicht wie andere, die die Bars jeden Tag, jede Nacht wechselten. In jeder Stadt blieb er der einen Bar treu. Irgendetwas verriet ihm jedoch, dass mit der Mekka-Bar alles anders wäre. In den anderen Bars oder Beamtenklubs hatte er die Nächte allein verbracht – zwischen Arrak und Schmerz. Der Grund war nicht, dass niemand ihn näher kennenlernen wollte, im Gegenteil: Alle waren sehr freundlich zu ihm. Er selbst verschloss sich mehr und mehr, wenn jemand mit ihm zu plaudern versuchte, und achtete darauf, Distanz zu wahren und sein Geheimnis zu hüten. Aber hier, in der geheimen Bar, der Mekka-Bar, fühlte er sich von Anfang an zu den anderenhingezogen. Es war, als hätte er eine Seelenverwandtschaft zu ihnen entdeckt. Es waren wohl ihre Schicksale, die sie vereinten. Ja, sie alle wetteiferten darin, einander ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Dabei fragte niemand, ob sich diese Geschichten tatsächlich so ereignet hatten oder erfunden waren. Sie alle waren glänzende, unermüdliche Erzähler, und der Arrak verstärkte ihre Leidenschaft. Selbst wenn sie dieselbe Geschichte immer wieder zum Besten gaben, änderte sich die Art und Weise des Erzählens und machte die Geschichte zu einer neuen Geschichte. Es war der einzige Ort, an dem Jussif keine Geschichte erfinden musste, weil alle anderen so großartige Geschichtenerzähler waren.
    Er setzte sich an einen der Tische. Ehe er sich zu den anderen gesellte, wollte er eine Weile allein bleiben. Zuerst stellte er den Kassettenrekorder auf den Tisch, dann holte er die in seiner Hosentasche zusammengefaltet steckenden Zeitungen heraus und warf sie neben den Rekorder.
    »Alles wie gehabt?«, hörte er die fragende Stimme des Barkeepers, der ein Viertel Arrak und einen Teller mit Saubohnen vor ihn hinstellte. Er lächelte und nickte bejahend mit dem Kopf. Er kannte die Scherze des Barkeepers, der weder den Arrak meinte, den er jede Nacht trank, noch den Teller mit Vorspeisen, sondern die Tatsache, dass er zu Beginn allein war und sich erst später an einen anderen Tisch setzte oder die anderen zu sich kommen ließ. Dies war jedoch selten

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