Jussifs Gesichter
den Kopf in Jussifs Richtung, hob sein Glas und prostete ihm lächelnd zu: »Auf das Wohl meines Freundes, den verliebten Prinz!«
»Zum Wohl«, stimmten die anderen mit ein.
Jussif dachte, der Erzähler hätte gleichsam seine Geschichte erzählt. Doch woher sollte er wissen, was ihm durch den Kopf ging? Tatsächlich hatte er nie nach Hause zurückkehren wollen, als Sarab noch wach oder gerade eingeschlafen war. Jetzt begann gerade die Stunde ihrer vollkommenen Ruhe. Er wollte nicht heimkommen und sie durch das Öffnen der Tür oder das Einschalten des Lichts aus dem Tiefschlaf aufwecken. Natürlich hätte er sie berühren, sie sanft aus ihren Träumen holen und ihr zuflüstern können: »Es hat sich nichts verändert!« Immer noch hatte er das Gefühl, es wäre alles so wie immer. Aber er fürchtete, sie würde ihm nicht glauben. Gewiss würde sie seine Worte wieder nur für mitgeschleppte Erinnerungen halten, die zu den immer gleichen Geschichten gehörten. Er könnte ihr natürlich versichern, dass sie diesmal beisammen bleiben, nichts mehr sie trennen würde. Aber er konnte ihren traurigen Anblick nicht ertragen, so reglos wie sie auf dem Bett lag, die leeren Augen zur Zimmerdecke, an die Wand, auf die eigenen Hände gerichtet. Er konnte die Tränen nicht ertragen, durch die sie während des Gesprächs mit ihm Trost suchte.
»Du siehst traurig aus«, vernahm Jussif die Stimme des Erzählers. Gleichzeitig merkte er, wie er sich ihm gegenüber an seinem Tisch niederließ. Seine Gesichtszüge sind die eines Arztes, dachte Jussif.
Der Erzähler hob sein Glas, trank einen Schluck und nahmden Faden wieder auf: »Als ich Sie sah, dachte ich, Sie seien traurig, auf ungewöhnliche Art traurig, trauriger als jeder andere in diesem Land. Es liegt an Sarab, nehme ich an. Aber an welcher?«
›Was meinen Sie damit?‹, wollte Jussif fragen. Es gibt doch nur eine Sarab!
»Vergessen wir das! Trinken wir lieber das Glas bis zur Neige«, rief er und nahm einen großen Schluck.
»Sie war wunderbar, sanft, gut. Ich spüre noch den Geist dieses hübschen Mädchens, das einen hat zweifeln lassen, ob man das Rätsel seines Todes lösen würde. Dabei sterben wir doch alle irgendwann.«
»Nur sie, sie wird nicht sterben«, sagte Jussif. »Sollte sie doch sterben, dann nicht durch eine Bombenexplosion oder dumme Nägel. Die Enttäuschungen haben bei ihr viel Schlimmeres angerichtet als der Tod.«
»Doch alles deutet darauf hin, dass Sie sehr traurig sind und gern darüber sprechen würden«, erwiderte der Erzähler. Deshalb haben Sie immer einen Kassettenrekorder dabei: Sie nehmen den Ablauf Ihrer Tage und Ihre Gedanken auf – es muss natürlich alles mit ihr zusammenhängen.«
Jussif schaute ihn an, dann wandte er sich ab und blickte in die Ferne. Schließlich ergriff er das Wort und sprach, als sei sein Gegenüber gleichsam abwesend.
»Sie sind der Einzige, der sich von den anderen unterscheidet, den Neidern, deren Missgunst niemals ein Ende findet. Ach, wenn doch eines dieser Wesen die Folterqualen kennen würde, die ich ertragen, die Zustände, die ich meistern musste! Doch am Ende sagen sie nur, ich sei verrückt.«
»Ich bin um Ihretwillen hier«, unterbrach ihn der Erzähler. »Und das wissen Sie. Ich habe Sie gesucht, habe die Bar, die Mekka-Bar, umkreist wie ein Wallfahrer, und zwar nicht, weil ich die Nachricht in der staatlichen Presse gelesen hatte.«
Als Jussif das vernahm, wandte er ihm den Kopf zu, als sei er überrascht von dieser Bemerkung. Er starrte den Erzähler verblüfft an, als wolle er wissen, ob er ihm wirklich trauen könne.
»Aber ich bin nicht ich!«, schrie er, als hätte er gerade das Bewusstsein wiedererlangt. »Sie verstehen das nicht! Ich versuche wirklich, Jussif zu sein. Aber Jussif ist vor mir geflohen – das ist ja das Problem!«
Er schwieg einen Augenblick, um danach mit leiser, verzweifelter Stimme fortzufahren: »Ich danke Ihnen für Ihre Versuche, mir zu helfen. Verzeihen Sie! Ich habe vergessen, dass Sie dies schon in Ihren Geschichten erwähnten.«
Wieder verfiel Jussif in Schweigen, aus dem ihn erst die Stimme des Erzählers riss: »Warum wollen Sie nicht wie damals mit mir sprechen? Sie lachen ja nicht einmal über meine Worte. Wollen Sie nicht die Wahrheit erfahren und erlöst werden?«
Jussif richtete die Augen erneut auf den Erzähler und bemühte sich noch mehr, ihn zu durchschauen. Obwohl er nicht so leicht aufgeben wollte, schüttelte er den Kopf.
»Es gibt keine
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