Just Kids
miteinander.
Als er Vertrauen zu mir gefasst hatte, erzählte er mir ein wenig mehr über sich. Er hing sehr an seinem Großvater, der ihm nach seinem Tod ein bescheidenes, aber doch substanzielles Erbe hinterlassen hatte, darunter ein Haus in New Jersey, in dem er mit seinem Großvater gelebt hatte. Seine Mutter hatte dieses Testament unter Hinweis auf seine labile seelische Verfassung angefochten und versucht, ihn entmündigen zu lassen. Als er mir das besagte Haus einmal zeigte, setzte er sich in den Sessel seines Großvaters und weinte.
Wir kamen danach gut voran. Wir arbeiteten an drei Stücken. Er hatte ein paar Ideen für die Melodien zu Dylan’s Dog und Fire of Unknown Origin, und wir hörten mit Work Song auf, das Stück,das ich für Janis geschrieben hatte. Ich war verblüfft, wie gut es klang, denn er hatte eine Tonart gefunden, in der ich singen konnte.
Eines Tages kam er mich in der Twenty-third Street besuchen. Draußen goss es in Strömen, und er war außer sich. Seine Mutter hatte das Testament erfolgreich angefochten, und ihm wurde der Zugang zum Haus des Großvaters verwehrt. Er war pitschnass, und ich bot ihm ein T-Shirt an, das Sandy Pearlman mir geschenkt hatte, ein Muster mit dem Emblem einer neuen Rock’n’Roll-Band, die er managte.
Ich versuchte, ihn zu trösten, und wir verabredeten ein neues Treffen. Doch in der nächsten Woche kam er nicht zur Probe. Ich ging hinüber ins Chelsea. Mehrere Tage lang erkundigte ich mich immer wieder nach ihm, bis mir Anne Waldmann erzählte, er sei angesichts der verlorenen Erbschaft und drohenden Einweisung in eine Anstalt vom Dach des Chelsea gesprungen.
Ich war erschüttert. Ich durchkämmte meine Erinnerung nach irgendwelchen Anzeichen. Ich fragte mich, ob ich ihm hätte helfen können, aber wir hatten ja gerade erst begonnen, miteinander ins Gespräch zu kommen und einander zu vertrauen. »Warum hat mir das keiner gesagt?«, fragte ich.
»Wir wollten dich nicht aufregen«, sagte Anne. »Er hatte das T-Shirt an, das du ihm gegeben hast.«
Nach diesem Vorfall weiterhin zu singen erschien mir unangebracht. Ich konzentrierte mich aufs Schreiben, doch die Singerei holte mich wieder ein. Sandy Pearlman machte mich mit Allen Lanier bekannt, den Keyboarder der Band, die er managte. Unter dem Namen Soft White Underbelly hatten sie ein Album für Elektra eingespielt, das aber nie veröffentlicht wurde. Zu der Zeit waren sie noch die Stark-Forrest Group, würden aber demnächst Blue Öyster Cult werden.
Sandy hatte zwei Gründe, uns miteinander bekannt zu machen. Er meinte, Allen könnte mir vielleicht helfen, meine Songs in eine Struktur zu bringen, und ich könnte dafür vielleicht Texte für dieBand schreiben. Allen entstammte einer bekannten Südstaatenfamilie, zu der unter anderem der Bürgerkriegsdichter Sidney Lanier und der Bühnenautor Tennessee Lanier Williams zählten. Allen war freundlich, machte einem Mut und teilte meine Vorliebe für die Gedichte von William Blake, die er aus dem Stegreif rezitieren konnte.
Während sich unsere musikalische Zusammenarbeit nur schleppend entwickelte, vertiefte sich unsere Freundschaft, und schon bald gaben wir die Arbeitsbeziehung zugunsten einer Liebesbeziehung auf. Anders als Robert trennte er beides lieber voneinander.
Robert mochte Allen. Sie respektierten einander und die Beziehung des anderen zu mir. Allen passte in unsere Gleichung wie David auf Roberts Seite, und wir alle lebten in Freundschaft miteinander. Durch seine Verpflichtungen bei der Band war Allen viel unterwegs, doch wenn er in New York war, wohnte er meist bei mir.
Allen trug zu unserem gemeinsamen Haushalt bei, während Robert tat, was er konnte, um finanziell unabhängig zu werden. Er marschierte mit seiner Mappe von Galerie zu Galerie, aber erntete zumeist die gleiche Antwort: Seine Arbeiten waren gut, aber zu gewagt. Ab und zu verkaufte er eine Collage oder hörte etwas Ermutigendes von Leuten wie Leo Castelli, aber im großen Ganzen befand er sich in der gleichen Situation wie der junge Jean Genet, der seine Sachen Cocteau oder Gide zeigte. Sie wussten, dass er ein Großer war, fürchteten aber nicht nur sein ungestümes Talent, sondern vor allem, was sein beherrschendes Thema über sie selbst ans Licht bringen könnte.
Die Abgründe menschlichen Einvernehmens, das Extremste, worauf sich Menschen aus freiem Willen einlassen, machte Robert zu Kunst. Er arbeitete ohne Rechtfertigungszwang, verlieh der Homosexualität etwas
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