Just Kids
hörte Marvin Gayes Trouble Man rauf und runter, während ich versuchte, über Arthur Rimbaud zu schreiben. Ich klebte ein Bild von ihm mit seinem trotzigen Dylan-Gesicht über mein Schreibpult, das ich nur selten benutzte. Lieber breitete ich mich auf dem Boden aus und schrieb nichts als Fragmente, Gedichte und den Anfang eines Theaterstücks, einen Dialog zwischen dem Dichter Paul Verlaine und mir, einen Schlagabtausch um Arthurs unerreichbare Liebe.
Eines Nachmittags schlief ich inmitten meiner Bücher und Zettel auf dem Fußboden ein und betrat das mir schon vertraute Terrain eines wiederkehrenden apokalyptischen Albtraums. Panzer mit Sternenbanner drapiert und mit Kamelglocken behängt. Muslimische und christliche Engel bekämpften sich bis aufs Blut, die Wanderdünen waren übersät von ihren Federn. Ich kämpfte mich durch Revolution und Verzweiflung und fand, im perfiden Wurzelwerk verdorrter Bäume eine gerollte Ledertasche. Und indieser abgewetzten Tasche lag, von ihm selbst handgeschrieben, das große, lang verschollene Werk Arthur Rimbauds.
Man konnte ihn sich unschwer vorstellen, wie er durch Gärten voller Bananenpflanzen streifte, spintisierend in der Sprache der Wissenschaft. Im Höllenpfuhl von Harar bemächtigte er sich der Kaffeefelder, und er bezwang das abessinische Hochplateau zu Pferd. In tiefer Nacht lag er unterm makellosen Rund des Vollmonds, der wie ein majestätisches Auge über seinen Schlaf wachte.
Ich erwachte mit einer schlagartigen Eingebung. Ich würde nach Äthiopien reisen und jene Ledertasche finden, die mir eher ein Zeichen als ein Traumgebilde darzustellen schien. Ich würde ihren im Staub Abessiniens konservierten Inhalt mit zurückbringen und der Welt zum Geschenk machen.
Ich erzählte Verlegern, Reisemagazinen und Literaturstiftungen von meinem Traum. Allerdings musste ich feststellen, dass die imaginären verschollenen Schriften Rimbauds im Jahr 1973 niemanden vom Hocker rissen. Ich ließ die Idee dennoch nicht fallen, im Gegenteil, sie wuchs sich zur Besessenheit aus, und ich glaubte ernsthaft, ich sei ausersehen, diese Schriften zu finden. Als ich einmal von einem Weihrauchstrauch auf einem Hügel träumte, der keinen Schatten warf, glaubte ich fest, die Ledertasche dort vergraben zu wissen.
Ich beschloss, Sam zu bitten, mir meine Reise nach Äthiopien zu finanzieren. Er war ein abenteuerlustiger Mensch und Geistesverwandter und fand meinen Vorschlag durchaus interessant. Robert war von der Idee entsetzt. Er schaffte es, Sam zu überzeugen, ich würde auf Nimmerwiedersehen verschwinden, gekidnappt oder bei lebendigem Leibe von Hyänen gefressen werden. Wir saßen in einem Café in der Christopher Street, und während unser Gelächter im Dampf zahlloser Espressi aufging, sagte ich den Kaffeeplantagen von Harar Adieu und fand mich damit ab, dass der vergrabene Schatz zumindest für dieses Jahrhundert weiter in Frieden ruhen würde.
Ich wollte wirklich unbedingt weg vom Strand Book Store. Es war eine Strafe für mich, im Keller zu hocken und Kartons auszupacken. Tony Ingrassia, unter dessen Regie ich in Island gespielt hatte, bat mich, bei einem Einakter mit dem Titel Identity mitzumachen. Ich las das Skript und kapierte es einfach nicht. Es war ein Dialog zwischen mir und einem anderen Mädchen. Nach ein paar uninspirierten Proben forderte er mich auf, dem Mädchen mehr Zärtlichkeit entgegenzubringen. »Du bist zu steif, zu distanziert«, sagte er genervt. Meine Zuneigung zu meiner Schwester Linda zeigte ich immer ganz offen und nahm das als Richtschnur für meine Interpretation von zärtlichem Umgang. »Die Mädchen sind ein Paar. Das musst du rüberbringen.« Er warf die Arme hoch. Ich war empört. Nichts in dem Skript hatte so etwas angedeutet. »Tu einfach so, als wäre sie eine deiner Freundinnen.« Tony und ich hatten einen hitzigen Disput, der damit endete, dass er ungläubig lachte: »Du drückst nicht und bist auch nicht lesbisch. Was machst du denn eigentlich?«
Ich betatschte das andere Mädchen so gut ich konnte, aber innerlich stand für mich bereits fest, dass es mein letztes Theaterstück sein würde. Ich hatte einfach nicht das Zeug zur Schauspielerin.
Robert überredete Sam, mich vom Strand Book Store freizukaufen und dazu anzuheuern, seine umfangreiche Sammlung an Büchern und Kachina-Puppen zu katalogisieren, die er einer Universität als Schenkung überlassen wollte. Ohne mir dessen bewusst zu sein, hatte ich mich damit für immer von meinem
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