Juwel meines Herzens
Tochter. Warum tat er ihr das an? Nolan kannte die Antwort auf seine Frage: Sie zu quälen, war der einfachste Weg, Nolan in die Knie zu zwingen, und Bellamy war sich dessen nur allzu sehr bewusst.
»Ende gut, alles gut. Gib mir einfach die Hälfte, und wir belassen es dabei.« Bellamy lächelte. »Ich vergebe dir, und vielleicht kann dir auch mein kleines Mädchen verzeihen … irgendwann.«
»Und wir werden den Schatz unter uns allen aufteilen.« Jewel funkelte Nolan an. Es sah nicht aus, als hätte sie vor, ihm in nächster Zeit zu vergeben.
Aber da Bellamy ja am Leben war, fragte sich Nolan, was es überhaupt noch zu vergeben gäbe. »Sie ist nicht mehr dein kleines Mädchen, Bellamy. Sie ist meine Frau. Und das ist die Wirklichkeit. Vor dem Gesetz, moralisch und körperlich. Aber ich bin sicher, auch darüber wurdest du bereits unterrichtet.«
Bellamy zog die Augenbrauen hoch. »Wie könnte ich?«
Nolan ging auf ihn zu, bereit zum Angriff. »Auf die gleiche Art und Weise, wie du dick geworden bist, dich rasiert hast und anschließend wieder zurück auf diese Insel gelangt bist, noch ehe wir hier an Land gingen. Du wusstest doch schon die ganze Zeit von unserem Plan. Und ich kann mir ziemlich genau vorstellen, wer dir die Informationen geliefert hat.«
Jewel legte sich die Hände auf die Ohren. »Hört auf damit! Beide.«
Nolan sah sie kurz an, dann wandte er sich wieder ab.
Jewel stampfte mit dem Fuß auf. »Ich habe euer Gezanke so was von satt! Der Schatz ist groß genug für alle.«
»Nein, ist er eben nicht. Nicht für ihn, jedenfalls«, sagte Nolan. »Ich werde mich davor hüten, ihm Geld zu geben, damit er sich wieder aufmachen und andere terrorisieren kann und jeden ausraubt, der ihm per Zufall über den Weg läuft. Er ist eine Landplage und gehört ins Gefängnis, verstoßen oder umgebracht.«
»Du kleine Ratte. Du musstest erst die gesamte Crew im Rücken haben, um mich zu schlagen, nicht wahr? Aber dieses Mal nehme ich mir mehr als deine kleine Karte, Junge. Ich werde mir deine Mannschaft holen, deinen Schatz und meine Tochter.«
Nolan holte mit dem Arm aus, verfehlte aber Bellamys Körper. Nur dessen ausgefranstes Hemd zerriss unter seiner Hand. Durch den ins Leere laufenden Schwung, verlor er einen Augenblick lang die Balance. Bellamys Reflexe waren hingegen noch immer so wach, dass er sofort zu einem Schwinger mit Nolans Kopf als Ziel ausholte. Nolan musste auf die Knie gehen, um dem Schlag auszuweichen. Keine Sekunde verging, dann war Nolan schon wieder auf seinen Füßen, fuhr herum und fixierte Bellamy mit geballten Fäusten.
»Hört auf!«, schrie Jewel. »Von mir aus könnt ihr euch gerne umbringen, wenn ihr wollt, aber tut bloß nicht so, als wäre ich der Grund dafür.« Sie drehte sich um und rannte quer über den Strand.
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Kapitel achtzehn
J ewel rannte, bis ihre Lungen zu brennen begannen. Als sie langsamer wurde und mit schmerzhaftem Keuchen um Atem rang, fand sie sich mitten in einem saftig-grünen Dschungel wieder. Sie schob eine dornige Rebe zur Seite, die vor ihrem Gesicht hing. Das Blattwerk war so dicht, dass sich in ihrem Haar und ihren Kleidern bereits Blätter verfangen hatten, aber in diesem Moment war sie froh, vom Dickicht des Waldes verschlungen zu werden. Die hohen Bäume bildeten ein Blätterdach, schützten sie vor der sengenden Sonne und umgaben sie mit einem grünen Nebel. Sie lehnte sich an einen der größeren Stämme, glitt an ihm herab und ließ sich auf ein moosiges Stück Erde nieder. Es war gar nicht so schlecht, ganz allein auf der Insel zu sein.
Sie legte ihren Kopf auf die Knie. Das hätte einer der schönsten Tage ihres Lebens sein können. Sie hatte einen Ehemann, den sie bewunderte, und ihr Vater war wieder aufgetaucht und hatte alles gesagt, wonach sie sich so lange gesehnt hatte. Von nun an hätte ihre Ehe nicht länger vom Geist ihres als tot angenommenen Vaters überschattet sein müssen. Stattdessen aber war ihre Verbindung von einem lebendigen, atmenden Menschen bedroht, der es – wie es schien – darauf anlegte, sie zu zerstören.
Mit erschreckender Klarheit erkannte sie, wie sehr sie sich in ihrem Vater getäuscht hatte. Ihre kindlichen Phantasien waren zu mächtig geworden, um sie nun binnen Sekunden einfach so über Bord zu werfen. Bellamy Leggett aus Fleisch und Blut war der Einzige, der stark genug war, seinen eigenen Mythos zu zerstören. Und trotzdem war er ihr Vater. Sie konnte ihn nicht einfach in eine Truhe stopfen
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