Juwel meines Herzens
weiterführen.«
Jewel vermutete, dass er die Kajüte verlassen wollte, bevor er gänzlich die Nerven verlor. Wenn es ihr wieder gelingen würde, seinen Zorn zu erregen, könnte sie vielleicht eine Schwachstelle in der steinernen Fassade ausmachen, die er um sich herum errichtet hatte. Mittlerweile war ihr jedes Mittel recht, um seine gleichgültige Haltung zu erschüttern.
Als sie sich auf die Pritsche fallen ließ, schlugen ihre Zähne bei dem unsanften Aufprall aufeinander. Wie konnte Nolan hier nur schlafen? Ihre Finger strichen über die rauhe Wolldecke, die das Bett bedeckte. Offensichtlich benötigte er in seinem Leben nichts Weiches, noch nicht einmal die einfache Bequemlichkeit eines anschmiegsamen Lagers. Obwohl die Pritsche einen Großteil des Raumes einnahm, war sie trotzdem so klein, dass Jewel sich gut vorstellen konnte, wie Nolans nackte Füße im Schlaf darüber hinausragten.
Nachdenklich presste sie ihre Stirn an die polierte Planke des Schiffsrumpfs. Nolan schien genauso wild entschlossen, sie loszuwerden, wie sie vorhatte, an Bord zu bleiben. Trotzdem hatte er seine Schwächen. Wie sonst war es zu erklären, dass er ihr die Karte zurückgegeben hatte. Genau wie er hatte auch sie in den vergangenen Jahren die menschliche Natur kennengelernt. Natürlich wäre es ein zu großes Risiko, sich einem fremden Kapitän anzuvertrauen, um den Schatz zu finden. Nolan Kenton war ihre einzige Möglichkeit, und sie würde alles in ihrer Macht liegende tun, damit er das einsah.
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Kapitel fünf
N olan folgte dem Blick jedes einzelnen Mannes an Deck. Jewels Erscheinen an Bord hatte seine mühsam erarbeitete Selbstkontrolle in ihren Grundfesten erschüttert. Sie hatte ihre Jacke ausgezogen, die Ärmel hochgekrempelt und ihr Hemd in der Taille geknotet, so dass ihre schmalen Hüften sowie ihr ergötzlicher Hintern in den engen Männerhosen nur zu gut für jeden sichtbar waren. Wie eine heidnische Gottesanbeterin breitete sie ihre schlanken Arme weit aus und streckte ihre Handinnenflächen und das Gesicht der Sonne entgegen. Der Wind fuhr durch ihr dunkles Haar, das sie wie ein leuchtender Heiligenschein umgab, und er musste seine eigenen Gedanken korrigieren: Jewel
war
die Göttin, und all die glotzenden Männer, er selbst mit eingeschlossen, waren ihre Anbeter.
Ehe er zu ihr stürmen und sie unter Deck ziehen würde – sein erster Impuls –, versuchte Nolan, sich wieder zu dem gleichgültigen, kopfgesteuerten Mann zurückzuverwandeln, der er gewesen war, als er die Kajüte verlassen hatte. Der Mann, zu dem er seiner Meinung nach in dem Moment geworden war, als er beschloss, sein ordentliches Leben aufzugeben, um sich die verfluchte Karte seines Großvaters zurückzuholen. Unbedacht hatte er dabei natürlich gelassen, dass es in Jewels Gegenwart nicht einfach sein würde, eine nüchterne Haltung zu bewahren. Ganz anders als im Hause seiner Eltern. Dort war jede Stunde des Tages mit sittlichen und faden Tätigkeiten erfüllt gewesen. Sogar die Mahlzeiten, bestehend aus gekochtem Rind, gekochten Kartoffeln und gekochten Rüben, wurden mit einem nüchternen Minimum von Gewürzen zubereitet, was weder Geschmacksexplosionen noch sonst etwas bei ihm ausgelöst hatte. Jewels Gegenwart hingegen verabreichte Nolan in stetiger Folge ein gewisses Maß an unberechenbaren und den Geist verwirrenden Gefühlen: Schuld, Wut und Wollust waren nur einige von ihnen. Hätte sie sich in seiner Kajüte mit offenem Hemd und bloßen Brüsten zu ihm umgedreht, er wäre bis in alle Ewigkeit verloren gewesen.
Sein Vater hatte immer gepredigt, dass der liebe Gott sich darauf verstand, einem Menschen das zu senden, was ihn am stärksten in Versuchung führte. Indem er Jewel in seine Obhut geschickt hatte, hatte sich die These für Nolan bewahrheitet.
Jetzt fuhr sich Jewel mit den Fingern durch ihr zerzaustes Haar, was Tyler und etliche andere Männer dazu veranlasste, sie mit offenem Mund anzustarren. Natürlich hatten die Männer schon etliche schöne Frauen zu Gesicht bekommen, aber Jewels unbewusst-heißblütiger Wirkung konnten sie sich kaum entziehen. Ihr Haar war von einem dunklen Braun und schimmerte in der Mittagssonne, als würden Feuersträhnen es durchziehen. Ihr kantiges, entschlossenes Gesicht wurde durch ihre vollen Lippen weicher, die sich in diesem Augenblick zu einem geheimnisvollen Lächeln verzogen. Die Sommersprossen wirkten jetzt nicht mehr nur unschuldig und kleinmädchenhaft, sondern verliehen ihr zugleich
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